Veranstaltung: | LDK Jena 2024 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 9. Sonstige Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz Jena 02. bis 04. Februar 2024 |
Eingereicht: | 11.01.2024, 22:46 |
Menschenwürdiges Bürger*innengeld
Beschlusstext
"Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Teilhabe, auf ein würdevolles Leben ohne
Existenzangst. Deswegen wollen wir Hartz IV überwinden und ersetzen es durch
eine Garantiesicherung. Sie schützt vor Armut und garantiert ohne Sanktionen das
soziokulturelle Existenzminimum. Sie stärkt so Menschen in Zeiten des Wandels
und kann angesichts großer Veränderungen der Arbeitswelt Sicherheit geben und
Chancen und Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben eröffnen. Die grüne
Garantiesicherung ist eine Grundsicherung, die nicht stigmatisiert und die
einfach und auf Augenhöhe gewährt wird."
Bundestagswahlprogramm 2021, Kapitel 3, S. 111
Hartz 4 war ein Fehler. Menschen wurden stigmatisiert, die Leistungen waren zu
gering und wurden unter das Existenzminimum gekürzt. Die Jobvermittlung setzte
darauf schnell in Arbeit zu vermitteln, statt Weiterbildung zu fördern und
Chancen zu geben. Menschen wurden in Helfer*innenjobs und Maßnahmen vermittelt,
die nicht ihren Qualifikationen und Interessen entsprachen, anstatt sie
langfristig zu fördern und sie bei der Ausbildung zu dringend benötigten
Fachkräften zu unterstützen. Damit wurde in erster Linie ein Niedriglohnsektor
geschaffen, der die Betroffenen, meist kurzfristig, aus der
Arbeitslosenstatistik hob, jedoch nicht aus der Armut. Die Abhängigkeit vom
Jobcenter blieb oft langfristig bestehen, sei es durch die Notwendigkeit, die
Einkünfte aufzustocken oder aufgrund von nur kurzfristigen Arbeitsverhältnissen.
Diesen Fehler haben wir erkannt und deshalb letztes Jahr endlich mit dem
Bürger*innengeld einen Paradigmenwechsel auf den Weg gebracht. Wir wollen
Menschen bei der langfristigen Integration in den Arbeitsmarkt fördern und
unterstützen. Dafür sollen Arbeitslose die Möglichkeit haben sich neu zu
orientieren, zu qualifizieren und bei Vermittlungshindernissen unterstützt zu
werden.
Zudem machten wir mit dem Bürgergeld klar: Die Würde des Menschen ist
unantastbar - Sie hängt nicht von Arbeit ab. Unter das Existenzminimum darf
unter keinen Umständen gekürzt werden!
Die Einigung zum Bürger*innengeld war ein schwer erstrittener Kompromiss mit der
FDP und der CDU. Wir sind dabei weit hinter unseren ursprünglichen Forderungen
zurück geblieben, dennoch bleibt es ein wichtiger Schritt in die richtige
Richtung. Diesen dürfen wir nicht zurück gehen.
Der Gesetzesentwurf aus dem Arbeitsministerium im Rahmen der Haushaltseinigung,
der seit Ende Dezember zirkuliert, geht an die Kernprinzipien des
Bürger*innengelds. Durch den Zwang, unter Drohung der Kürzung des gesamten
Bürger*innengeld einen Job anzunehmen, sind die gewünschte langfristige
Neuorientierung und Qualifizierung nicht mehr möglich. Die Entscheidung, was ein
passendes Jobangebot darstellt, liegt nicht bei den Betroffenen sondern in der
Hand der Behörden. Alte Hartz IV-Verhältnisse könnten damit zurückgeholt werden.
Auch der Wechsel der Behördenkultur, der Anfang letzten Jahres noch als Erfolg
gefeiert wurde, wird infragegestellt. Wiederum wird den Menschen nicht Respekt
sondern Misstrauen entgegengebracht, mehr noch, man begegnet den Menschen nicht
auf Augenhöhe, sondern mit vermeintlich erzieherischen Maßnahmen, die nicht
weiterhelfen, sondern die Lage der Betroffenen noch mehr verschlimmern. Das
sollte nicht unser grüner Anspruch sein!
Unter der Berücksichtigung, dass mit knapp 46 Mio. noch nie so viele Menschen
wie momentan in Deutschland erwerbstätig waren und sich zudem ein beträchtlicher
Anteil der Empfänger*innen des Bürger*innengelds entweder in Arbeit befindet
oder nicht erwerbsfähig ist (mehr als 2 von 5,5 Mio.), muss ein derartiges
Vorgehen der Leistungskürzung als Scheindebatte verbucht werden. Wir stellen uns
gegen eine derartige Stimmungsmache zulasten derer, die in relativer Armut leben
müssen. Das Narrativ des faulen Arbeitslosen, der nur unter Androhung der
Wegnahme des Existenzminimums ernsthaft nach einer Erwerbsarbeit sucht,
beschreibt nicht die Realität.
Die möglichen Kürzungen aller Zuwendungen außer der Wohn- und Heizkosten gehen
noch über die Sanktionen im Hartz 4 Regime hinaus und haben mit einem
würdevollen Leben oder auch nur dem Existenzminimum nichts zu tun. Das
Bürger*innengeld ist aber genau das: Das Minimum. "Dach überm Kopf aber kein
Geld für Essen" darf nicht legitimer Teil unseres Sozialsystems sein.
Eine Zustimmung zu einem Gesetz, dass auch nur vergleichbar mit den öffentlich
kommunizierten Vorschlag des Sozialministeriums ist, würde wiederum auf Jahre
hinweg ein menschenunwürdiges System zementieren. Der Vorschlag ist
populistisch, unsozial und betreibt wieder einmal eine Diskursverschiebung nach
rechts. Diesen Schritt dürfen wir nicht mitgehen.
Wir dürfen den Fehler Hartz 4 nicht wiederholen!
Die LDK beschließt deshalb:
Kürzungen unter das soziokulturelle Existenzminimum widersprechen der
Menschenwürde und den Grundsätzen und Beschlüssen zu sozialer Politik von
Bündnis90/Die Grünen.
Die zwanghafte Koppelung der Leistungen an das Annehmen von Jobangeboten
widerspricht dem Paradigma der Förderung des Bürgergeldes und wird wie auch
schon im Hartz 4 System nicht zu weniger Armut führen. Wir setzen weiterhin auf
Förderung, Weiterbildung und eigenständige Neuorientierung zur langfristigen
Integration im Arbeitsmarkt.
Wir stehen zum Bürger*innengeld und streiten weiterhin für die Verbesserung der
Leistungen, Weiterbildung und für Respekt statt Stigmatisierung. Ein
Zurückfallen hinter die Einigung zum Bürger*innengeldes im letzten Jahr ist ein
politischer und moralischer Fehler.
Wir fordern die Grünen Minister*innen, Mandatsträger*innen und die Bundespartei
dazu auf, dem Gesetzentwurf und vergleichbaren Einigungen nicht zuzustimmen.
Begründung
im Antragstext