Veranstaltung: | LDK Sömmerda 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 4 Leitantrag |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 14.12.2024 |
Antragshistorie: | Version 6 |
Anpacken! Mit Zuversicht in die Zukunft
Beschlusstext
Thüringen steht am Scheideweg. Unser Bundesland steht wie viele andere Regionen
Deutschlands vor wichtigen Richtungsentscheidungen: Schaffen wir die notwendige
Transformation angesichts der ökologischen Krisen, dem demographischen Umbruch
und der fortschreiten Entwicklung digitaler Technologien? Oder verlieren wir den
Anschluss und damit an Attraktivität?
Der Handlungsbedarf ist groß. Das stellt Politik vor neue Anforderungen und
schafft neue Unsicherheiten bei Bürger*innen. Politik muss heute mehr denn je
zielgerichtet und vorausschauend handeln statt nur verwalten. Die
Herausforderungen müssen ehrlich analysiert und angegangen werden, statt sie zu
leugnen oder zu ignorieren. Mit transparenten Zielen und Maßnahmen sowie einem
ehrlichen, verantwortungsbewussten und lösungsorientierten Regierungsstil kann
Vertrauen der Bürger*innen in politische Akteur*innen zurückgewonnen und
Zuversicht aufgebaut werden. Das ist auch unser Anspruch an unsere BÜNDNISGRÜNE
Politik. Dies ist der wesentliche Unterschied zu populistischen Parteien und
Ansätzen, die Ängste bei den Menschen schüren, sie gegeneinander ausspielen und
einfache Lösungen versprechen. Unsere Aufgabe ist es Zuversicht zu vermitteln,
dass die Aufgaben zu bewältigen und die Veränderungen positiv zu gestalten sind.
Dies gilt besonders in Zeiten, in denen Krisenschlagzeilen die Nachrichten
bestimmen und Menschen sich vor Wohlstandsverlust fürchten. Die Krise bei VW und
der damit verbundene drohende Arbeitsplätzeabbau hat viele Menschen auch in
Thüringen tief getroffen, nicht nur weil ihre Jobs bei Zulieferbetrieben
gefährdet sind, sondern weil sie darin einen Ausdruck der Krise der deutschen
Wirtschaft sehen. Dabei zeigt das Beispiel Automobilindustrie besonders
deutlich: Der Wandel lässt sich nicht länger leugnen und ignorieren, er ist
längst Realität. Nur wer es schafft, sich den neuen Bedingungen anzupassen und
sich zu verändern, wird mithalten. Gezielte Investitionen in Klimaneutralität
und die Nutzung regionaler, erneuerbarer Energiequellen sind dafür notwendig,
auch in Thüringen. Ende Oktober warnte das Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung, dass in Thüringen tausende Jobs in Gefahr sind, bei
gleichzeitig sich verschärfendem Fachkräftemangel. Die bisherige
Wirtschaftspolitik in Thüringen war darauf nicht vorbereitet – zu viel
Gießkanne, zu wenig zielgerichtet, zu wenig ausgerichtet auf zukunftsweisende
Kriterien wie Digitalität, Innovationskraft und Klimaneutralität. Gleichzeitig
ist die kleinteilige Struktur unserer Wirtschaftslandschaft auch eine Stärke –
wenn wir es schaffen, die vielen klein- und mittelständischen Unternehmen bei
den anstehenden Anpassungsprozessen zu unterstützen und damit ihre
Konkurrenzfähigkeit zu stärken. Es ist daher wichtig, die Thüringer Wirtschaft
durch gezielte Ansiedlungen, die Bildung und Stärkung von Wirtschaftsclustern,
eine gute Qualifizierung unserer Einwohner*innen und die gezielte Förderung von
zukunftsfähigen Branchen in Thüringen zu stärken. Gerade die Erneuerbaren
Energien, ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Entwicklung und
Produktion neuer klimaneutraler Technologien sind wichtige Jobmotoren, die
regionale Wertschöpfung und Sicherheit bringen. Unsere Thüringer Unternehmen
braucht hierfür mehr Unterstützung in ihrer Weiterentwicklung und bei der
Fachkräftesicherung, durch Investitionsunterstützung und Zuschüsse. Wir werben
daher weiter für die Einrichtung eines Zukunftsfonds, um die Investitionsbedarfe
zu decken. Dafür ist auch eine Reform der Schuldenbremse unumgänglich. Denn die
Schulden wurden bereits gemacht: durch ausbleibende Investitionen auf Kosten
zukünftiger Generationen.
Um dies umzusetzen und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer thüringer
Wirtschaft zu stärken, müssen Klimaschutz und damit die Notwendigkeit der
Transformation von allen politischen Akteur*innen endlich als unausweichbare
Notwendigkeit anerkannt werden. Es ist essentiell zu verstehen, dass der Schutz
unserer natürlichen Lebensgrundlagen und des Klimas kein Nice-to-Have sind,
sondern über Sicherheit und Wohlstand der Menschheit entscheiden. Es ist nicht
nur eine Sache der Welt- oder Bundespolitik, Klimaschutz wird vor Ort gemacht,
im Kleinen und im alltäglichen Handeln. Es ist unlauter, Menschen vorzuspielen,
dass es sich bei Klimaschutzmaßnahmen um ideologische Verbotsphantasien handelt.
Wir müssen endlich in eine politische Diskussion über das WIE beim Klimaschutz
kommen, nicht über das OB. Ein weiteres Aufschieben gefährdet nicht nur unsere
Umwelt und die Artenvielfalt, sondern auch den sozialen Frieden und die
Sicherheit der Bevölkerung. Natürlich muss Klimaschutz immer auch sozial gerecht
sein. Schon jetzt leiden arme Menschen stärker unter den Folgen des Klimawandels
und von Umweltbelastungen, während Menschen mit mehr Geld auch deutlich mehr
Emissionen produzieren als jene mit wenig Geld. Hier braucht es endlich mehr
Gerechtigkeit – breite Schultern müssen stärker zur Verantwortung gezogen
werden! Daher ist die Einführung eines Klimageldes unumgänglich, damit Menschen
auch finanziell etwas von Klimaschutz haben. Dass der Bundesfinanzminister
entgegen dem Koalitionsvertrag bis zum Schluss die Einführung des Klimageldes
verhindert hat, ist eine fatale Entscheidung und ein Verrat an den vielen
Menschen mit geringerem Einkommen in unserem Land. Denn Gerechtigkeit ist der
Schlüssel zu Zusammenhalt und Solidarität in unserer Gesellschaft.
Doch Gerechtigkeit betrifft auch die gleichwertigen Lebensverhältnisse in der
Stadt und auf dem Land. Hier wird in den nächsten Jahren der Erhalt und Ausbau
der Infrastruktur essentiell sein. Thüringen ist ein ländlich geprägtes
Bundesland. Was eigentlich eine Stärke sein könnte, wird in Verbindung mit einer
schrumpfenden und alternden Gesellschaft jedoch zum Risiko. Denn Infrastruktur
wie Kindergärten, Krankenhäuser, Brücken, Bahnstrecken und Pflegeangebote sind
dort schwieriger zu erhalten, wo immer weniger Menschen leben. Doch sind es
genau diese Faktoren, die im Alltag der Menschen ausmachen, wie angeschlossen
oder abgehängt sie sich fühlen. Gibt es im näheren Umkreis eine Schule, auf die
meine Kinder gehen können? Wohin wende ich mich bei gesundheitlichen Problemen?
Wo kann ich mein Baby zur Welt bringen? Gibt es einen Bahnhof in der Nähe? Fährt
ein Pflegedienst bis zu meinem Dorf? Das sind sehr entscheidende Fragen - nicht
nur im Alltag, sondern auch politisch. Es muss Ziel bündnisgrüner Politik sein,
sich noch stärker für den Erhalt und Ausbau von Infrastruktur in ländlichen
Räumen einzusetzen. Denn es ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, ob die
Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land wirklich gleichwertig sind. Es ist
auch eine Frage der Attraktivität unseres Bundeslandes und der
Lebenszufriedenheit der Bürger*innen. Wer ständig erlebt, dass Arztpraxen
geschlossen und Bahnstrecken stillgelegt werden, fühlt sich schnell im Stich
gelassen und politisch vernachlässigt. Dabei geht es nicht darum, blind den
Erhalt aller Krankenhaus- und Schulstandorte zu versprechen. Sondern es geht um
kluge, ehrlich und transparent kommunizierte Konzepte, die regionale
Besonderheiten berücksichtigen, um die Infrastruktur im ländlichen Raum trotz
Bevölkerungsrückgang zu stärken. Menschen müssen darauf vertrauen können, dass
ihre Lebensbedingungen vor Ort nicht immer schwieriger werden, sondern dass
gezielte Investitionen getätigt und die Bedingungen vor Ort verbessert werden.
Sie müssen erleben, dass Zusammenhalt und Solidarität keine Worthülsen sind und
der Staat sich nicht aus der Fläche zurückzieht. So kann auch Vertrauen in
staatliches Agieren wieder gestärkt werden. Dafür kämpfen wir nicht nur vor Ort
in den Kommunen und im Land, sondern auch in der Bundespolitik.
Investitionen in unsere Infrasturktur sind auch entscheidend, um ländliche
Regionen für jüngere Menschen und Familien attraktiv zu machen. Dabei geht es
eben nicht nur um die Verfügbarkeit von günstigem Wohnraum oder Bauflächen.
Gerade junge Menschen brauchen neben dem guten Anschluss an den öffentlichen
Nahverkehr ansprechende Freizeit- und Kulturangebote sowie selbstverwaltete Orte
zum Zusammenkommen. Vor allem brauchen junge Menschen eine Kultur des
Ernstnehmens und der Offenheit. Thüringen muss wieder ein Land werden, in dem
junge Menschen gern bleiben und leben wollen, weil sie sich wertgeschätzt
fühlen. Es kann nicht sein, dass junge Menschen sich ihre Freiräume immer wieder
erkämpfen müssen. Es kann nicht sein, dass junge Menschen immer wieder mit
pauschalen Verurteilungen und Ablehnungen ihrer Lebensweisen konfrontiert
werden. Es braucht gesellschaftliche Offenheit, Wertschätzung und Respekt
gegenüber jungen Menschen. Das ist nicht nur für die Gewinnung von Fachkräften
essentiell, sondern um jungen Menschen eine liebevolle und attraktive Heimat zu
bieten.
Entscheidend dafür wird auch sein, ob Thüringen sein Rechtsextremismus-Problem
in den Griff bekommt. Thüringen zählt bundesweit nicht nur zu den Hot Spots
rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Ein politisch vergiftetes Klima gegenüber
Geflüchteten und Zugewanderten trifft dabei auf weit verbreiteten Rassismus und
Gewaltbereitschaft in Teilen der Bevölkerung. Gerade marginalisierte
Bevölkerungsgruppen wie migrantisierte, queere oder jüdische Menschen fühlen
sich hier zunehmend nicht mehr sicher und denken darüber nach, unser Land zu
verlassen. Das dürfen wir nicht zulassen! Wir beobachten diese Entwicklungen mit
großer Sorge und fordern nach wie vor ein entschlosseneres Vorgehen gegen die
extreme Rechte ein. Denn ein sich weiter ausbreitender Rechtsextremismus
gefährdert nicht nur die Sicherheit unserer eigenen Bevölkerung und höhlt den
gesellschaftichen Zusammenhalt aus, sondern wird auch ein Problem bei der
Akquise und Sicherung von Fachkräften.
Doch statt diese Herausforderungen anzugehen, stecken einige Parteien den Kopf
in den Sand und warten darauf, dass sich die Probleme von selbst lösen. Oder es
werden Ängste geschürt und ganze Bevölkerungsgruppen zum Sündenbock erklärt. Das
hilft niemandem weiter. Kein Leben wird besser, wenn Menschen abgeschoben oder
Grenzen dicht gemacht werden. Das löst weder die Herausforderungen des
Strukturwandels noch macht es das Leben der Menschen in Thüringen einfacher.
Auch Kürzungen beim Bürgergeld bringen niemandem mehr Lohn oder bezahlbaren
Wohnraum. Stattdessen werden Menschen, die in schwierigen Lebenslagen sind,
gegeneinander ausgespielt und stigmatisiert. Das eigentliche Problem bleibt
dabei unbearbeitet: die wachsende soziale Ungleichheit in unserem Land. Wir
werden weiter dafür kämpfen, dass unsere Gesellschaft gerechter wird. Diese
Vision einer solidarischen Gesellschaft aufzubauen und zu stärken ist auch unser
Ziel, gerade in einem Geringverdiener- und Kinderarmutsland wie Thüringen. Wir
begegen damit den Ängsten und Unsicherheiten angesichts der Zeiten des Wandels.
Damit begegnen wir aber auch reaktionären Verleumdungen, progressive Politik sei
weltfremd und Klimaschutz unbezahlbar.
Hass und Ressentiments gegenüber uns BÜNDNISGRÜNEN sind in den letzten Jahren
extrem gewachsen. Das liegt zum einen an Schmutzkampagnen reaktionärer Kräfte,
die durch unsere Politik ihre Existenz- und Wirtschaftsgrundlage bedroht sehen.
So stehen wir mittlerweile für manche für alles, was sie hassen und fürchten.
Zum anderen müssen wir aber auch selbstkritisch anerkennen, dass wir bislang
nicht genug konkrete und überzeugende Angebote gemacht haben, um klar zu machen,
dass wir die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen in Thüringen ernst nehmen, die
beispielsweise mit den negativen Folgen des tiefgreifenden Strukturwandels leben
müssen. Dem müssen wir noch mehr entgegensetzen. Es braucht eine aktive
Auseinandersetzung mit den Ängsten und Vorurteilen, die unsere Gesellschaft
spalten, sowie eine Politik, die den sozialen Zusammenhalt stärkt. Das gilt auch
für den Hass und die Ressentiments, die sich gezielt gegen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
richten. Diesem begegnen wir nicht nur mit guter Politik und besseren Lösungen,
sondern auch mit einer ehrlichen Kommunikation, indem wir verständlich
vermitteln, was wir tun und warum es wichtig ist. Wir müssen noch stärker nach
vorne stellen, dass wir das Leben der Menschen besser machen wollen, und
spürbare Verbesserungen erreichen: wie mehr Bus- und Bahnangebote vor Ort,
günstigere Energiepreise, mehr Investitionen in Bildung und neue Arbeitsplätze
vor Ort. So gestalten wir eine Politik, die echte Perspektiven bietet und
niemanden zurücklässt. So erreichen wir, dass für uns so wichtige politische
Anliegen wie Sicherung von Freiheit für alle, Bürger*innenbeteiligung, Fokus auf
Regionalität, Gerechtigkeit wieder stärker mit uns assoziiert werden. Wir wollen
zeigen, wie stark wir hier im ganzen Land verwurzelt sind und unsere Motivation
zum Wohle des Landes ausgerichtet ist. Unsere Ehrlichkeit und unsere Zuversicht
müssen wir dabei als Chance begreifen. Der Gegenwind hält uns nicht auf. Weil
wir nicht in den Kopf in den Sand stecken, sondern weiter kämpfen: für eine
klimaneutrale, gerechte und solidarische Gesellschaft, für ein weltoffenes
Thüringen mit Zukunft!