Veranstaltung: | Wahlprogrammprozess 2.0 |
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Antragsteller*in: | LaVo |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 29.03.2021, 10:47 |
A21: Wir sichern die Freiheit und bewahren die Vielfalt (Das menschliche Thüringen gestalten: Migration und Zusammenleben)
Antragstext
Allgemeines
Offenheit und Vielfalt sind für uns BÜNDNISGRÜNE eine Bereicherung unseres
Landes. Geflüchtete aufzunehmen ist unsere menschliche Verpflichtung, für
Zuwanderung offen zu sein ist verantwortungsbewusst. Menschen, die sich bei uns
einbringen, hier arbeiten und sich ein Leben aufbauen wollen, machen Thüringen
vielfältiger und mit ihnen können wir dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Unser
Grundgesetz ist das Fundament für ein gutes, friedliches Zusammenleben aller
Menschen in unserem Land. Gegenseitige Anerkennung, Respekt, Gleichberechtigung
und Chancengleichheit sind wichtige Eckpfeiler. Das menschliche Thüringen
braucht alle hier lebenden Menschen, denn Integration ist keine Einbahnstraße.
Schauen wir nicht weg: Flucht und Verfolgung sind leider an vielen Orten auf der
Welt schreckliche Realität. Etwa 80 Millionen Menschen waren Ende 2019 weltweit
auf der Flucht. Die wenigsten davon erreichen überhaupt Europa. Auf diejenigen
die es hierher schaffen, warten viel zu oft überforderte Staaten in Süd- und
Osteuropa und in dessen Folge überfüllte, katastrophale Lager wie auf den
griechischen Inseln, die kaum zu ertragen sind.
Die Bekämpfung von Fluchtursachen ist daher genauso wichtig wie der Schutz jener
Menschen, die zu uns kommen. Wir stehen für umfassende gesellschaftliche
Teilhabe und einen menschenwürdigen Umgang mit allen Geflüchteten, egal ob sie
nur für einen begrenzten Zeitraum oder dauerhaft bei uns leben. Und das ist mehr
als eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf. Dazu gehört auch das Recht
auf Bildung für alle von Anfang an. Sprache ist schließlich der Schlüssel zur
Teilhabe und gelingenden Integration.
Die faire und rechtsstaatliche Prüfung des Anspruchs auf Schutz und Asyl ist
elementar, weitere Verschärfungen des Asylrechts sind es nicht. Wir lehnen das
Konstrukt sicherer Herkunftsstaaten aus grundsätzlichen Erwägungen ab.
Abschiebungen in Krisenregionen müssen verboten werden. Das individuelle
Grundrecht auf Asyl darf nicht weiter ausgehöhlt werden. Bereits erfolgte
Asylrechtsverschärfungen erhöhen die Unsicherheit und den Beratungsbedarf. Daher
werden wir die individuelle und behördenunabhängige Asylverfahrensberatung im
ganzen Land gewährleisten.
Ergänzend wollen wir unabhängige und ehrenamtliche Unterstützungsnetzwerke
fördern und für besonders schutzbedürftige Geflüchtete (Opfer von
Menschenhandel, LSBTTIQ*, Traumatisierte, Behinderung, allein reisende Frauen,
umF/ Kinder etc.) spezialisierte Beratungs- und Unterstützungsangebote
etablieren.
Das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz auf Bundesebene wollen wir
weiterhin abschaffen.
Integrationskonzept
Die Integration und gesellschaftliche Teilhabe der zu uns Eingewanderten und
Geflüchteten ist uns ein besonderes Anliegen. Dafür haben wir alle Bereiche von
der Ankunft bis zur Integration federführend in einem Ministerium gebündelt, das
die Zuständigkeit für Migration nicht nur im Namen trägt. Wir nutzen die wenigen
bundesrechtlichen Spielräume für eine menschenrechtsorientierte
Flüchtlingspolitik. Zusammen mit vielen Menschen überall in Thüringen haben wir
ein Integrationskonzept entwickelt und umgesetzt, in dessen Ziele und Maßnahmen
wir weiter investieren werden: Verbesserung des Spracherwerbs als Schlüssel zur
Integration, Nachholen von schulischer Bildung und Arbeitsmarktintegration von
erwachsenen Migrant*innen, Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung und
Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge und vieles mehr.
Mit einem neuen alle Integrations- und Migrationsaufgaben umfassenden Amtes für
Migration wollen wir diesen Weg weitergehen, Verwaltungsstrukturen effizient
bündeln und dabei Doppelzuständigkeiten abbauen.
Die medizinische Versorgung von Geflüchteten wurde durch die Einführung der
elektronischen Gesundheitskarte und einen erweiterten Leistungskatalog in den
vergangenen Jahren deutlich verbessert. Die psychosoziale und therapeutische
Versorgung werden wir weiter stärken und die medizinische Versorgung von
Menschen ohne Papiere durch den anonymen Krankenschein weiter sicherstellen. Die
Sars-Cov2-Pandemie hat zudem verdeutlicht, welche Risiken die
Gemeinschaftsunterbringung mit sich bringt. Insbesondere Covid-19-Risikogruppen
sollten daher unbedingt dezentral untergebracht sein.
Das Recht auf Bildung gilt auch für Zugewanderte. Damit Bildungsangebote in
Anspruch genommen werden können, braucht es Bildungsberatung und Sprachförderung
von Anfang an. Neben dem wichtigen Erwerb der deutschen Sprache trägt zum
gelingenden Spracherwerb auch das Beherrschen der jeweiligen Herkunftssprache
bei, das wir fördern wollen.
Mit den Landesprogrammen Start Deutsch* und Start Bildung* haben wir
Förderlücken geschlossen und die Sozialbetreuung in den Unterkünften
schrittweise verbessert. Die Vorbereitungsklassen an den Berufsschulen müssen
allerdings besser mit Personal ausgestattet werden. Dazu gehört auch die
Unterstützung mit Angeboten der Schulsozialarbeit für Geflüchtete.
Die Integrationsarbeit war und ist undenkbar ohne die Hilfe unzähliger Menschen,
die sich ehrenamtlich oder hauptamtlich engagieren. Ihnen gebührt unser Dank!
Sie zu unterstützen bleibt wichtig. Daher verstetigen wir die professionelle
Ehrenamtskoordinierung im Büro der Thüringer Beauftragten für Integration,
Migration und Flüchtlinge und setzen uns weiter für die verlässlichen Förderung
der Integrationsarbeit ein, die wir bereits in den vergangenen Jahren deutlich
ausbauen konnten
Die erreichten Erfolge in der Integrationspolitik wollen wir fortsetzen, es
bleibt noch eine Menge zu tun. Basis dafür ist die dauerhafte Umsetzung und
solide Finanzierung des Thüringer Integrationskonzepts unter Mitwirkung einer
gestärkten Beauftragten für Integration, Migration und Flüchtlinge. Mit einem
echten Integrations- und Teilhabegesetz wollen wir die Integrationsförderung
bündeln und die Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge
gesetzlich verankern.
Die unabhängige Netzwerk-, Qualifizierungs- und Beratungsarbeit des Thüringer
Flüchtlingsrates e.V. werden wir weiter fördern, ebenso wie wir unser Augenmerk
auf stabile möglichst mehrjährige Beratungs- und Unterstützungsstrukturen
Angesichts von Kriegen, Folgen des Klimakrise, Umweltzerstörung und Armut ist
die Bekämpfung von Fluchtursachen eine immense Herausforderung für
internationale Politik – eine Verantwortung, vor der wir uns nicht wegducken
dürfen. Wir tragen durch unsere Art zu leben und zu wirtschaften eine
Mitverantwortung für die durch die fortschreitende globale Erwärmung ausgelösten
Dürren und die Wüstenbildungen, für die Verarmung und Vertreibung von Menschen
als Folgen einer falschen globalen Agrarpolitik. Fluchtursachen zu bekämpfen
heißt internationale Konfl ikte diplomatisch zu lösen, fairen Welthandel und
nachhaltige Entwicklung zu gestalten und die Klimakrise zu bekämpfen.
Geflüchtete Menschen werden auch in Zukunft Schutz bei uns suchen. Abschottung
ist keine Lösung. Stattdessen gilt es, eine europäische Flucht und Asylpolitik
zu vereinbaren, die sichere und legale Fluchtwege eröffnet, Familiennachzug
ermöglicht und eine solidarische Aufnahme und Verteilung in den europäischen
Mitgliedsstaaten ermöglicht. Deshalb hat auf unseren Antrag hin der Thüringer
Landtag den Freistaat zum "Sicheren Hafen" erklärt. Aus diesem Grund
unterstützen wir BÜNDNISGRÜNE auch die Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Das
Engagement ehrenamtlicher Retter*- innen darf nicht kriminalisiert oder unnötig
erschwert werden. Kommunen, die bereit sind, aus Seenot gerettete Schutzsuchende
aufzunehmen, wollen wir dabei auch finanziell unterstützen. Auch wenn der Bund
sich zunehmend quer stellt - wir werden weiterhin für Landesaufnahme- und
Relocationprogramme werben und streiten, die besonders schutzbedürftige
Geflüchtete aus den katastrophalen Bedingungen an der europäischen Außengrenze
oder anderen Drittstaaten herausholen. Jahrelange Trennung der Geflüchteten von
ihren Familien kann zu enormen Belastungen und Ängsten führen. Alle Menschen
sollten unabhängig von ihrer Herkunft das Recht auf ein Zusammenleben mit ihrer
Familie haben, auch in unserem Land. Europa darf nicht zur Festung, seine
Außengrenze nicht zur Todeslinie werden.
Zu uns geflüchtete Menschen sollen unabhängig von ihrer Bleibeperspektive
möglichst schnell ein selbstbestimmtes Leben führen und am gesellschaftlichen
Leben teilhaben können. Das beginnt bei dezentralem Wohnraum nach der Ankunft,
der zügig zur Verfügung gestellt werden soll.
Insbesondere werden wir die Verfahren und Strukturen der Erstaufnahme weiter
verbessern und modernisieren, die Beratungs- und Schutzbedarfe der Geflüchteten
beachten, die bedarfsgerechte individuelle Gesundheitsversorgung sicherstellen
und die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme so kurz wie möglich gestalten.
Anker- oder Abschiebezentren wird es mit uns nicht geben. Das Recht der Menschen
auf Privatsphäre gilt selbstverständlich auch in der Erstaufnahmeeinrichtung.
Das Flüchtlingsaufnahmegesetz werden wir so verändern, dass die dezentrale
Unterbringung in Wohnungen konsequent gefördert sowie die eigenständige
Wohnsitznahme durch private Anmietungen ermöglicht wird. In Ballungszentren soll
der soziale Wohnungsbau auch für Geflüchtete ausgebaut werden. Zudem braucht es
mehr barrierefreie Unterkünfte in den Kommunen.
Die Standards in den Unterkünften werden wir weiter verbessern. Unter den
Geflüchteten befinden sich schließlich viele schutzbedürftige Menschen, vor
allem Kinder und Jugendliche, traumatisierte Geflüchtete oder allein reisende
Frauen. Bereits in der Erstaufnahme soll daher eine bedarfsgerechte Begleitung
und Unterstützung erfolgen und in den Unterkünften konsequent Gewaltschutz und
Privatsphäre gewährleistet werden.
Alle Geflüchtete, die einen Ausbildungsplatz haben, sollen einen sicheren
Aufenthaltsstatus bekommen und sich nach Abschluss eine dauerhafte Beschäftigung
suchen können. Die "3+2-Regelung“, die derzeit einen fünfjährigen
Abschiebeschutz für Geflüchtete aus nicht-sicheren Herkunftsländern ermöglicht,
verschafft Ausbildungsbetrieben in Handwerk und Wirtschaft mehr
Planungssicherheit. Diese Regelung soll weiter ausgebaut werden und unabhängig
von den Herkunftsländern gelten. Menschen, die erfolgreich eine Ausbildung
absolviert haben, sollen ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen. Arbeits- und
Ausbildungsverbote halten wir allerdings für grundfalsch. Unser Ziel ist, dass
diese Verbote vollständig aufgehoben werden. Wir werden verstärkt auf die
Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen achten und den Zugang zu
Beratungsmöglichkeiten für ausländische Arbeitnehmer*innen erweitern. Zur
Integration in den Arbeitsmarkt sollen die Verfahren zur Anerkennung von
ausländischen Qualifikationen verbessert und Weiterbildungsmöglichkeiten
erleichtert werden.
Einwanderungsgesetz
Dass Deutschland während der Pandemie am Laufen blieb, ist insbesondere auch
Menschen mit Migrationshintergrund zu verdanken. Viele Zugewanderte arbeiten in
systemrelevanten Berufen, in der Landwirtschaft, der Lebensmittelbranche oder in
Krankenhäusern, Arztpraxen und Laboren. Wir brauchen Fachkräfte, deren Ideen und
Motivation. Daher setzen wir uns dafür ein, dass Zugewanderte einfacher einen
Arbeitsplatz bei uns suchen können.
Deshalb fordern wir seit Jahren ein modernes Einwanderungsgesetz. Mit der
Einführung einer Talentkarte auf der Grundlage eines Kriterien basierten
Punktesystems kann flexibel auf die Bedarfe des Arbeitsmarktes reagiert werden.
Gleichzeitig bietet sie Einwanderungswilligen ein transparentes und faires
Verfahren. Eine Einwanderungskommission in diesem System soll jährlich den
Arbeitskräftebedarf neu abschätzen und steuern, Mangelberufe frühzeitig erkennen
und gleichzeitig auch die Problematik des sogenannten Braindrain aus den
Herkunftsstaaten berücksichtigen. Auch der Spurwechsel zwischen Asyl- und
Einwanderungsrecht muss klar geregelt werden, damit Asylbewerber*innen bei
entsprechender Qualifikation leichter eine Arbeitserlaubnis erhalten. Die
Aufnahme von Arbeitskräften darf sich nämlich nicht nur nach wirtschaftlichen
oder arbeitsmarktpolitischen Interessen richten.
Am Ende gelungener Integration kann die deutsche Staatsbürger*innenschaft
stehen. Wir halten daran fest, dass auch doppelte Staatsbürger*innenschaften
möglich sind. Wer durch Geburt zwei Staatsangehörigkeiten hat, soll nicht
künstlich gezwungen werden, eine von beiden aufzugeben. Wir wollen die
politische Beteiligung hier lebender Ausländer*innen steigern und dazu neue Wege
beschreiten. Die Mitgestaltung des eigenen Lebensumfelds ist wesentlicher Teil
der Teilhabe. Wir werden deshalb auch Nicht-EU-Bürger*innen das aktive und
passive kommunale Wahlrecht ermöglichen. Und wir unterstützen die Einrichtung
weiterer kommunaler Integrationsbeiräte und ihre Einbindung in politische
Entscheidungsprozesse.
Zusammenleben
Wir BÜNDNISGRÜNE wollen bei der Personalgewinnung für den öffentlichen Dienst
diversity-orientierte Ansätze nutzen und so die Repräsentativität in der
Beschäftigtenstruktur hinsichtlich unterschiedlicher Vielfaltsdimensionen wie
beispielsweise bei Mitarbeiter*innen mit Migrationshintergrund in der
öffentlichen Verwaltung und in sozialen Einrichtungen verbessern. Dafür braucht
es mehr Antirassismus- und Diversitätstrainings sowie Angebote von Schulungen
für kultursensibles Verhalten in Behörden, Kitas, Schulen und Krankenhäusern,
also an Orten, an denen Menschen häufig mit Zugewanderten und Geflüchteten
arbeiten. Genauso ist für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft die
Integrations- und Kulturarbeit der Migrant*innenorganisationen unverzichtbar.
Wir werden sie weiter fördern und dafür auch die professionelle
Ehrenamtskoordinierung verstetigen. Auch das Netz der Migrations-
Beratungsstellen (Migranetz) soll flächendeckend ausgebaut werden. In einem
partizipativen Prozess wollen wir zusammen mit zivilgesellschaftlichen
Institutionen einen Landesaktionsplan gegen Rassismus und Diskriminierung
erarbeiten.
Rassismus, rechte Gewalt und Diskriminierung betreffen leider auch viele
Geflüchtete. Daher haben wir ein Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt
geschaffen, das wir weiterentwickeln wollen. Es sind jedoch nicht nur
Geflüchtete, sondern viele Menschen insgesamt betroffen. Aus diesem Grund und
zur Stärkung der Rechte von Betroffenen setzen wir uns grundlegend für die
Aufnahme einer Klausel gegen Antisemitismus und Rassismus sowie gegen Homo- und
Transphobie in die Landesverfassung ein. Förderprogramme für prodemokratische,
antifaschistische und antirassistische Bildungsarbeit wollen wir stärken und
auch die Antidiskriminierungsarbeit gesetzlich besser verankern. Ein
flächendeckendes Beratungsnetz für von Diskriminierung Betroffene halten wir für
unabdingbar, genauso wie wir uns konsequent gegen institutionelle
Diskriminierung und Racial Profiling wenden.
Änderungsanträge
- Ä1 (GRÜNE JUGEND Thüringen, Eingereicht)
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