Veranstaltung: | LDK Sömmerda 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 14 Sonstige Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Eingereicht: | 21.11.2024, 22:10 |
Gemeinsam stabil bleiben: Strategien für eine starke außerparlamentarische Opposition
Beschlusstext
Die Ergebnisse der Landtagswahlen und der Kommunalwahlen haben zu drastischen
Verlusten nicht nur an Stimmen, sondern auch von Fraktionen und Sitzen in
Stadträten, Kreistagen und dem Landtag geführt. Die daraus resultierenden
Verluste von Abgeordneten- und auch Fraktionsbüros in den Landkreisen führen zu
einem drastischen Verlust von Anlaufpunkten für Menschen, um mit bündnisgrüner
Politik in Kontakt zu kommen. Die politische Sichtbarkeit und
Gestaltungsmöglichkeiten sind durch den Verlust der Fraktion im Landtag sowie
von Mandatsträger*innen als „grüne Gesichter“ in den Kommunalparlamenten
deutlich eingeschränkt und werden neben politischen Fragestellungen der
Ausrichtung zur größten Herausforderung in der Vorbereitung aller folgenden
Wahlen.
Für die Arbeit in der außerparlamentarischen Opposition gibt sich der
Landesverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen folgende Ziele zur Anpassung der
Strukturen und Arbeitsweisen.
Stärkung & Sichtbarkeit vor Ort
Ziel ist die Sicherstellung und mittelfristig die Erhöhung der physischen
Sichtbarkeit von bündnisgrüner Politik und Menschen in den ländlichen KVen.
bündnisgrüne Politik muss Menschen in ländlich geprägten Gebieten erreichen, um
dort dem Narrativ einer „Stadtpartei“ entgegenzuwirken und grüne Politik
verständlich zu machen. Dafür bleibt es weiterhin eine entscheidende Aufgabe,
Kreisverbandsstrukturen gerade in mitgliederschwächeren Regionen zu stärken und
die Kreisverbände weiterhin bei der Professionalisierung ihrer Arbeit zu
unterstützen. Es gilt, gemeinsam die Arbeit vor Ort weiterzuentwickeln und
gemeinsam einen größeren Fokus auf Öffentlichkeitsarbeit, gesellschaftliches
Agenda-Setting und Dialogformate zu setzen, auch in Verknüpfung mit der
kommunalpolitischen Arbeit. Die Unterstützung und Vernetzung unserer kommunalen
Mandatsträger*innen muss künftig einen noch größeren Stellenwert bekommen, auch
angesichts des Wegfalls eines großen Teils der Ressourcen von DAKT. Ziel sollte
es sein, dem fundamental negativen Images der Partei vor allem im ländlichen
Raum etwas entgegenzusetzen. Dies kann beispielsweise über engagierte
bündnisgrüne Personen geschehen, die sich strategisch in bestimmten Projekten
und Bündnissen engagieren, die inhaltliche Schnittmengen mit uns haben und an
denen eine relevante Menge an Menschen vor Ort interessiert sind. Aber auch die
eigenständige politische Arbeit muss weiter gestärkt werden, beispielsweise mit
einem Instrumentenkasten an barrierearmen Formaten, Aktionen und Kampagnen.
Vielerorts ist Vertrauen in bündnisgrüne Politik verloren gegangen, viele
Menschen sind noch nie mit bündnisgrünen Mitgliedern in Kontakt gekommen. Dem
müssen wir vor Ort etwas entgegensetzen – durch passende, regionalspezifische
Angebote – niedrigschwellig, lebensweltorientiert und alltagsnah. Dafür braucht
es auch mehr methodisches Wissen in Bezug auf Netzwerk- und Bündnisarbeit für
die Fläche und die Bündelung sowie effiziente Bearbeitung von alltäglichen
Kreisverbandsarbeiten, um die ehrenamtliche Zeit weniger in das Verwalten und
mehr in das Wirken vor Ort investieren zu können.
Bündnisarbeit als zentrale Säule der APO
Es braucht eine spezifische Antwort auf die in weiten Teilen Thüringens geringe
Mitgliederstärke und Ausstrahlungsmöglichkeit in lokale Zivilgesellschaft sowie
der Entkopplung von Politik und politischem Handeln von Parteien, wie sie
insbesondere in kleinen Gemeinden und Dörfern zunehmend zu beobachten ist.
Netzwerke mit progressiv-politischen Initiativen, Bündnissen, Projekten,
Vereinen und Verbänden sowie Menschen, die keine Parteimitglieder sind, können
für alle Beteiligten sinnvoll und fruchtbar sein. Einerseits können der
Landesverband und die Kreisverbände auf diese Weise Sichtbarkeit und Resonanz im
politischen Nahumfeld erzeugen und politische Forderungen und Ideen aufgreifen.
Andersherum können eigene politische Anliegen von Nichtparteimitgliedern
politisch in Kommunal-, eingeschränkt die Landes- oder auch Bundespolitik
getragen werden. Dies kann auch für Organisationen wertvoll sein, die sich
aktuell nicht offen politisch äußern können oder wollen.
Diese Netzwerkarbeit wird einen großen Einsatz von zeitlichen Ressourcen
benötigen, die ehrenamtlich von Mitgliedern eingebracht werden müssen. Hierfür
braucht es eine Beteiligung und Mitwirkung in Initiativen und Organisationen vor
Ort, als auch auf Landesebene. Es braucht ein strategisches Vorgehen für die
Bündnisarbeit vor Ort. Landesweit werden Unterstützung und Koordinierung des
Landesverbands notwendig sein. Wichtig dürfte hier sein, dass Mitglieder nicht
nur in thematisch nahestehenden Netzwerken aktiv sind, sondern auch als
bündnisgrüne gelesene Nachbarn, Expert*innen oder Mitengagierte in vielen
zivilgesellschaftlichen Kontexten erkennbar sind. Viele unserer Mitglieder sind
bereits vielfältig aktiv, doch müssen wir uns verstärkt als „Bündnisgrüne“
zeigen. Die LAGen wiederum sollten aktiver als bisher für bündnisgrünnahe
Nichtmitglieder geöffnet werden, um verstärkt als Ideengeber für die
Parteiarbeit zu fungieren. Der Landesverband unterstützt darüber hinaus
Mitglieder mit methodischem Wissen und nach Möglichkeit auch fachlich.
Widerstandsfähige Strukturen im Landesverband
Viele strategische und inhaltliche Debatten des Landesverbandes wurden in den
letzten Jahren im Zusammenspiel mit der Landtagsfraktion und den bündnisgrünen
Regierungsmitgliedern geführt, aufgrund der dort vorhandenen Expertise und
zeitlichen Verfügbarkeit von hauptamtlichen Beschäftigten. Dieser Feedback-,
Kontroll- und Debattenraum steht insbesondere für die Landessprecher*innen
künftig nicht mehr zur Verfügung. Es ist ein Ziel, eine funktionierende
Alternative zur inhaltlichen und strategischen Beratung außerhalb informeller
Arbeitsgruppen zu schaffen, wobei die gewachsenen ehrenamtlichen Kapazitäten im
Landesverband besser einbezogen werden sollen.
Um dies zu erreichen, schlägt der amtierende Landesvorstand Satzungsänderungen
zur Reformierung des Landesparteirates (LaPaRa) und zur Reformierung des
Kreisvorständetreffens hin zur Kreisvorständekonferenz vor. Künftig soll der
LaPaRa eine stärkere Rolle als strategisches Beratungsgremium („ThinkTank“) des
Landesverbands innehaben. Er koordiniert die politischen Aktivitäten des
Landesverbands sowie berät und unterstützt den Landesvorstand. Außerdem vernetzt
er durch seine Zusammensetzung die unterschiedlichen Ebenen des Landesverbands.
Er kommt mindestens zwei mal im Jahr zusammen und erarbeitet
Handlungsempfehlungen zu strategischen Fragen. Die Kreisvorständekonferenz dient
als zweithöchstes beschlussfähiges Gremium das Landesverbands, die dabei
insbesondere die regionalen Belange abbilden soll. Bei Nichtannahme der
Satzungsänderungen empfiehlt es sich, dass der neue Landesvorstand weitere
Optionen evaluiert und einbringt.
Unsere Landesarbeitsgemeinschaften (LAGen) bedurften bereits vor der
Landtagswahl einer Diskussion über inhaltliche und strukturelle Ausrichtung. Die
inhaltliche Arbeit der LAGen konnte von der inhaltlichen Arbeit in der
Landtagsfraktion und der bündnisgrünen Ministerien profitieren, jedoch hatten
die LAGen immer wieder Schwierigkeiten, kurzfristig eigene Akzente zu setzen und
ihren Wirkungsraum zu finden. Nun gilt es, die LAGen zu einer gestärkten, an
inhaltlichen Ausarbeitungen orientierten Arbeit zu befähigen. Die wird dadurch
erleichtert, dass die Arbeit nicht mehr akut an das tagespolitische Agieren der
Landesregierung geknüpft sein muss, sondern der mittelfristigen Erarbeiten von
neuen Positionen im Vordergrund steht. Ein weiteres Ziel ist es, die Vernetzung
der LAGen mit der Zivilgesellschaft zu stärken.
Für die neuen Anforderungen an die LAGen braucht es Maßnahmen zur
Mitgliedergewinnung in den LAGen, Zieldefinitionen der LAG-Arbeit zur stärkeren
Selbstwirksamkeit, Befähigung insbesondere der LAG-Sprecher*innen für die
steigenden Anforderungen, strukturelle Neuorganisation der LAGen, Unterstützung
für die stärkere Bündnisarbeit, bessere Organisation der Kommunikationswege der
LAGen zu anderen Gremien und auch unter den verschiedenen LAGen.
Stabile und tragfähige Finanzierung
Durch die wegfallenden finanziellen Mittel sind mittel- bis langfristig
Strukturen und Personal bedroht. Es ist eine schwierige Aufgabe dies abzufedern.
Aus diesem Grund ist es notwendig, eine stabile und tragfähige Finanzierung zur
(Teil-)Kompensation zu erzielen. Mittel werden zur Finanzierung von Personal in
der LGS, von Personal und gegebenenfalls Büros in den KVen sowie für politische
Kampagnenarbeit on- und offline benötigt. Doch auch Fundraising für nicht-
monetäre Ressourcen wie Ehrenamtspatenschaften für mitgliederschwache KVen
müssen mitbedacht werden. Eine landesweite Fundraisingstrategie ist nicht nur
notwendig, um die Fundraisingmaßnahmen des Landesverbandes fachgerecht und
bedarfsorientiert planen, umsetzen und evaluieren zu können, sondern auch, um
Maßnahmen und Methoden mit den KVen abstimmen zu können und sie als „Best-
Practise“-Sammlung auch adaptiert an ehrenamtliche Strukturen in die KVen zu
tragen. Hierfür bedarf es einer Fundraisingstrategie, die der Landesverband in
Zusammenarbeit mit den Kreisverbänden erarbeiten um umsetzen soll.
Den digitalen Raum weiter erschließen
Ziel ist die Erhöhung der digitalen Reichweite bündnisgrüner Inhalte in
Thüringen. Dies erfordert einen Fokus von Landesverband und der Kreisverbänden
auf Soziale Medien als politischen Resonanz- und Diskursraum, der zurzeit aktiv
von AfD und rechtsextremen Influencer*innen mit ihren Inhalten und der
entsprechenden (Bild-)Sprache besetzt wird. Menschen in Thüringen sollen
regelmäßig in sozialen Netzwerken mit bündnisgrüner Politik bzw. politischen
Ideen und Forderungen positiv besetzt in Kontakt kommen. Hierbei braucht es
starke Bezüge zu deren Lebenswelt und -situation. Das kann sowohl durch eigenen
Content, aber auch steigende Interaktionen der Parteiprofile und auch Profile
der „grünen Gesichter“ vor Ort passieren. Dafür braucht es neue
Kommunikationswege und die Zuhilfenahme von Multiplikator*innen außerhalb von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Aber auch eine stärkere Interaktion unserer eigenen
Mitglieder mit Social-Media-Inhalten ist dafür ein essentieller Baustein. Ein
solcher Gras-Wurzel-Ansatz braucht die Entwicklung einer langfristigen
Strategie, die von Landesebene koordiniert, aber nur in Zusammenarbeit mit den
Kreisverbänden funktioniert. Zudem muss auch die Professionalität der Social
Media-Arbeit in den Kreisverbänden weiter steigen, beispielsweise durch
regelmäßige Teilnahme an Schulungen und Austauschrunden.
Rebranding
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind zu einer Projektionsfläche für viele Menschen
geworden, die Angst vor gesellschaftlichem Abstieg haben, Überforderung in den
multiplen Krisen erleben oder einfach nur für populistische Botschaften des
empfänglich sind. Als Partei, die für Lösungsorientierung, Weltoffenheit,
Zukunftsoptimismus und Reformwilligkeit steht, haben wir es schwer, wenn die
stattfindenden Veränderungen aufgrund der multiplen Krisen vor allem negativ
wahrgenommen und Debatten vor allem auf Problemebene geführt werden. Aber auch,
wenn rechte politische Kräfte erfolgreich ein positiv-verklärendes
Vergangenheitsbild zeichnen und eine Abgrenzung - vor allem im Bezug auf
Geflüchtete - propagieren. Die Dauerangriffe nicht nur von Rechtsextremen und -
populist*innen sondern auch von politischen Verbündeten von rechts wie links
haben sich auf die Wahlergebnisse der letzten Zeit niedergeschlagen. Kritisch
hinterfragt werden muss jedoch auch die Rolle bündnisgrüner Politik in
schwierigen Regierungskonstellationen wie der „Ampel“, in der vor allem der
koalitionsinterne Streit das öffentliche Bild prägte, wodurch das Vertrauen in
die Problemlösungsfähigkeit demokratischer Institutionen geschwächt und die
Anschlussfähigkeit rechter Diskurse in der öffentlichen Debatte gestärkt wurde.
Ziel muss es sein, die Partei bundesweit mit einem klar sozial-ökologischen
Profil, der Bereitschaft zur lagerübergreifenden Lösungsfindung und dem Willen
zur Gestaltung in einer vertrauensvoll arbeitenden Regierungskonstellation in
Erscheinung treten zu lassen. Dabei sollten gesellschaftliche Herausforderungen
nicht länger als etwas dargestellt werden, was der Staat paternalistisch für
seine Bürger*innen löst (und somit den Raum für rechte Gegennarrative schafft),
sondern als gemeinsame Anstrengung, in die die Menschen aktiv mit einer eigenen
Handlungsfähigkeit einbezogen werden können. Um diese Reparatur der grünen Marke
auf den Weg zu bringen, braucht es einen breiter und längerfristig angelegten
Prozess, der so bald wie möglich gestartet werden muss, bestenfalls gemeinsam
mit dem Bundesverband.
Begründung
Nach der Wahl braucht es neben einer politischen auch strategische und
strukturelle Antworten, um den Verlusten an Präsenz in der Fläche und der
inhaltlichen Arbeit der Landtagsfraktion zu begegnen. Es gilt, die Kreisverbände
in ihrer Arbeit vor Ort inhaltlich und – nach Möglichkeit – personell zu stärken
sowie bündnisgrüne Themen vor Ort bespielen zu können. Dies wird zusätzlich
durch Veränderungen in der personellen Ausstattung bzw. Zusammensetzung der LGS
erschwert.
Die notwendige Neustrukturierung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen ist eine
große personelle und finanzielle Herausforderung.
Durch die geringeren Einnahmen für den Landesverband wird sich die LGS
verkleinern müssen bzw. müssen neue Tätigkeitsschwerpunkte gewählt werden. Diese
personalpolitische Herausforderung wird durch die zu erwartende Mittelknappheit
noch verschärft. Der Spagat zwischen Mitgliederverwaltung sowie inhaltlich und
struktureller Unterstützung der Kreisverbände auf der einen, aber auch
landespolitischen Sichtbarkeit auf der anderen Seite wird von der verkleinerten
LGS und den ehrenamtlich aktiven Mitgliedern in den Kreisverbänden und
vielfältigen Gremien auf Landes- und kommunaler Ebene gestemmt werden müssen.
Dafür braucht es eine Neuausrichtung der Strukturen und der Arbeitsweisen der
Gremien.