Veranstaltung: | LDK Sömmerda 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 14 Sonstige Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Eingereicht: | 21.11.2024, 17:56 |
An der Seite der Betroffenen: Für ein Thüringer Landesantidiskriminierungsgesetz.
Beschlusstext
Die Landesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen schließt sich
den Forderungen des Bündnisses „AGG Reform jetzt!“ an.
Die Landesdelegiertenkonferenz fordert von der aktuell kommissarischen und
künftigen Landesregierung endlich ein Thüringer Landesantidiskriminierungsgesetz
(LADG) entsprechend des Abschlussberichtes der Enquete Rassismus und dem
Thüringer Integrationskonzept 2024 umzusetzen. Damit soll sie sich insbesondere
vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation an die Seite von
diskriminierungsbetroffenen Personen stellen.
Der Landesvorstand wird in Zusammenarbeit mit den Landesarbeitsgemeinschaften
Innen und Internationales beauftragt diesen Prozess zu begleiten und öffentlich
die Umsetzung einzufordern, um die Schutzlücken des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu schließen.
Begründung
Ansinnen dieses Antrags ist die Beauftragung von Landesvorstand und
Landesarbeitsgemeinschaften sich mit Betroffenenverbänden zu vernetzen und
gemeinschaftlich auf die Umsetzung eines jahrelang geforderten
Landesantidiskriminierungsgesetzes hinzuwirken und es öffentlichwirksam
einzufordern. Ein LADG war bereits in der aktuellen Legislatur Teil des
Koalitionsvertrags der nun nur noch kommissarisch agierenden Landesregierung,
vorgesehen. Insbesondere durch die Enquete Rassismus, aber auch das Thüringer
Integrationskonzept, wird die Erstellung eines solchen Gesetzes zur Schließung
der Schutzlücken im öffentlichen Bereich dringend empfohlen und wartet trotzdem
bis heute auf seine Umsetzung. Die Umsetzung öffnet außerdem das Fenster
Antidiskriminierungsarbeit in Thüringen endlich gesetzlich abzusichern.
Warum gerade jetzt?
Von Diskriminierung betroffene Menschen haben bereits vor der Landtagswahl
Notfallpläne geschmiedet, um sich auf schwierige politische Verhältnisse
vorzubereiten. Mit 32,8 % der Stimmen hat die AfD in der nur wenige Monate
zurückliegenden Landtagswahl eine Sperrminorität erzielt. Dass die Thüringer AfD
bereit ist diesen Einfluss auch geltend zu machen, zeigt sie bereits in der
konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtages unter einer AfD Sitzungsleitung
durch den Alterspräsidenten. Diese Stimmung fügt sich ein in zunehmende rechte
und rassistische Alltagsgewalt, in die Einschüchterungsversuche durch Drohungen
gegen Veranstaltungen wie dem CSD in verschiedenen Städten oder in
diskriminierende Sprache offline sowie online. Einstellungsforschung zeigt die
Verhärtung rechtspopulistischer Einstellungen. Antimuslimischer Rassismus,
Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen haben in Thüringen
schwindelerregende Zustimmungswerte. Der Landkreis Sonneberg hat sich zum
Hotspot rechter Gewalt entwickelt. Der Oberbürgermeister von Gera und seine
Stadtverwaltung haben aufgegeben gegen wöchentliche Aufmärschen extrem rechter
Zusammenschlüsse von grundlegenden Möglichkeiten der Einschränkung innerhalb des
Versammlungsrechts Gebrauch zu machen.
Eine weitere Zunahme von diskriminierendem Verhalten ist zu befürchten und macht
Betroffen verständlicherweise Sorge und Angst. Auch kann nur verständlich sein,
wenn die Sorge auch vor institutioneller Diskriminierung steigt. Der in
Sonneberg amtierende AfD-Landrat hat durch den Versuch Mittel des
Landesprogramms für die lokalen Projekte zur Demokratieförderung und Empowerment
nicht weiter abzurufen, gezeigt welche Pläne die nun 1/3 der Sitze im Landtag
innehabende AfD in diesem Bereich hegt. Die Unsicherheit für Betroffene von
Diskriminierung ist daher groß. Die Frage, wie lange sie in Thüringen noch
sicher leben können stellt sich. Können sie künftig erwarten, dass ihre Anliegen
gleichwertig behandelt werden und genauso zugewandte Verwaltungsmitarbeitende
antreffen, wie Menschen, die der Mehrheitsgesellschaft zugerechnet werden.
Daher stellen sich zurecht folgende Fragen: Wie stellen wir sicher, dass die
Landesverwaltung nicht genutzt wird, um menschenfeindliche und diskriminierende
Politik in vermeintlich harmlose Vorschriften zu gießen? Wie verhindern wir,
dass nicht schleichend, unbeabsichtigt die Gangart gegenüber Menschen verschärft
wird, die monatelang in der Presse als Sündenbock für Kriminalität, Überlastung
von Schulen oder Wohnungsmangel präsentiert wurden?
Und wie schaffen wir es der Landesverwaltung und ihren nachgelagerten
Einrichtungen einen klaren Auftrag mit zu geben stereotype Vorstellungen zu
überwinden, eine weltoffene Kultur zu fördern und Antidiskriminierung nicht mehr
als persönliches Risiko, sondern als strukturelle Frage zu begreift? Mit einem
ausgewogenen Landesantidiskriminierungsgesetz.
Warum kann ein LADG?
Der bisherige Diskriminierungsschutz des AGG lässt Schutzlücken für Betroffene
offen. Einige Landesregierungen haben den Weg aufgezeigt, diese durch ein
eigenes LADG zu ergänzen.. Für die Hochschulen des Landes hat Thüringen im
Hochschulgesetz bereits mit einer Öffnungsklausel die Wirksamkeit des AGG
erklärt und entsprechende AGG-Beratungsstellen eingerichtet. Auch verfügt
Thüringen bereitsüber eine Landesantidiskriminierungsstelle, die es zu stärken
gilt. Zudem ist eine unabhängige, im Sinne der Betroffenen parteiische,
Antidiskriminierungsberatungsstelle bei einem externen Träger mit Mitteln des
Landeshaushaltes eingerichtet. Deren Zukunft mit den gegebenen
Mehrheitsverhältnissen auf dem Spiel steht.
Durch ein LADS werden die Möglichkeiten für Betroffene sich zur Wehr zu setzen
gegenüber den bestehenden Regelungen des AGG gestärkt. Dazu gehört
beispielsweise eine Beweislasterleichterung, durch die die betreffende Behörde
bei begründeter Vermutung die Nichtdiskriminierung beweisen muss. Auch werden
Verbandsklagerechte ermöglicht und die Verbände befähigt sich gegen
systematische Diskriminierungen mit strategischer Prozessführung zu wehren und
grundsätzliche Fragen von unabhängigen Gerichten klären zu lassen. Ferner
könnten auch Sanktionen so gestaltet werden, dass sie ausreichend abschreckende
Wirkung entfalten. Im Rahmen eines LADG kann eine diverse Landesverwaltung
gefördert werden. Berlin als Präzedenzfall zeigt, dass so unter anderem wirksam
gegen die Praxis des sog. Racial Profiling vorgegangen werden kann und sich
damit der Schutzrahmen tatsächlich verbessert. Das Beispiel des LADG in Berlin
zeigt auch, dass Klagewellen mit unbegründeten Unterstellungen gegen
Landesbedienstete erwartungsgemäß nicht eingetreten sind. Ziel ist es nicht
einzelnen Beamt*innen und Mitarbeiter*innen die Arbeit zu erschweren, sondern
eine bewusste und systematische Auseinandersetzung mit Diskriminierung in
Landesbehörden und Einrichtungen.
Was sind die nächsten Schritte?
Der Landesvorstand soll, unter Einbeziehung der zuständigen LAGen, abgestimmt
mit den entsprechenden Verbänden einen gut ausgearbeiteten Vorschlag erarbeiten
und öffentlich präsentieren. Er soll aufzeigen wie ein solches Gesetz aussehen
kann, welche Chancen es bietet und die Umsetzung des Gesetzes in der
Öffentlichkeit einfordern. Damit soll einerseits Druck auf die bundespolitische
Debatte für eine AGG-Reform aufrechterhalten werden, die in der Vergangenheit
durch Koalitionspartner in der Bundesregierung blockiert wurden. Auf der anderen
Seite wollen wir damit in der öffentlichen Thüringer Debatte als
außerparlamentarische Opposition einen Anstoß setzen dieses Thema im Landtag zu
diskutieren. Unter den aktuellen Gesichtspunkten wäre ein Zeichen, dass jede
Person in Thüringen sicher vor Diskriminierung sein sollte, auch und gerade
durch Landesverwaltung und –Einrichtungen für Betroffene wichtig. Wir setzen dem
Rechtsruck entgegen, dass wir die Betroffene nicht für kurzfristige
Stimmungsgewinne opfern, sondern uns als Teil der Zivilgesellschaft an ihre
Seite stellen.
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