Veranstaltung: | LDK Jena 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 8. Landtagswahlprogramm 2024 |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz in Jena vom 02. - 04. Februar 2024 |
Beschlossen am: | 04.02.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
C. Freiheit schützen – Vielfalt leben: 10. Wir ziehen keinen Schlussstrich in der Aufarbeitung
Text
Wir ziehen keinen Schlussstrich in der
Aufarbeitung
Thüringen besitzt eine vielfältige Geschichte. Doch genau wie die Geschichte
Deutschlands ist auch die unseres Freistaats von dunklen Kapiteln geprägt. Unser
Ziel: Wir möchten mit Blick auf unsere vielschichtige Vergangenheit erinnern und
mahnen, aber auch weiter aufarbeiten. Dazu gehört für uns auch, Debatten
anzustoßen und vermeintlich alte Themen neu zu betrachten.
Oft unerkannt prägt der deutsche Kolonialismus bis heute das Bild öffentlicher
Räume, unserer Alltagssprache oder findet Einzug in Museen. Eine kritische
Aufarbeitung der Verbrechen dieser Zeit leistet einen wichtigen Beitrag, um
einen neuen und zeitgemäßen Umgang mit dem kolonialen Erbe zu finden und auf
diesem Weg antirassistische Perspektiven zu entwickeln.
Auch allgemein ist die politisch-historische Bildung wichtiger denn je. Ganz
besonders angesichts der deutschen Vergangenheit im 20. Jahrhundert und einer
wieder verstärkt wachsenden Zustimmung zu national-autoritären Denkweisen. Die
Schoah ist ein Menschheitsverbrechen und ein Zivilisationsbruch. Und dennoch
müssen wir mit Erschrecken feststellen, wie wenig Wissen um unsere Vergangenheit
tatsächlich vorhanden ist. Wir sind fest davon überzeugt, dass nur ein klarer
Blick auf die Vergangenheit unsere Gesellschaft vor künftigen Fehlern schützen
kann.
Deshalb werden wir weiter an die Opfer und verfolgten Gruppen des
Nationalsozialismus erinnern. Auch diese Geschichte hat in jedem Ort unseres
Freistaats seine Spuren hinterlassen. Und auch die Aufarbeitung der Diktatur zur
Zeit der DDR und die Geschichte der Menschen, die unter den Repressionen des
Ministeriums für Staatssicherheit litten, wollen wir weiter voranbringen. Wir
stehen dabei klar an der Seite der vielen Vereine, Gruppen und Menschen, die
sich schon seit Jahrzehnten für die Erinnerung an diese Geschichten einsetzen.
Kernziele:
- Förderung der Bildungs- und Erinnerungsarbeit in Schulen, außerschulischen
Lernorten und öffentlichen Institutionen
- Konsequente Unterstützung zivilgesellschaftlicher und hauptamtlicher
Initiativen, welche sich mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus
auseinandersetzen
- Aufarbeitung des Kolonialen Erbes und Unterstützung der Erinnerungskultur
in Thüringen
Gedenkstätten und Aufarbeitung des Nationalsozialismus
Nie wieder ist jetzt. Deshalb müssen wir die Erinnerung an die versuchte
Auslöschung jüdischen Lebens im Nationalsozialismus wach halten. In den
vergangenen Jahren ist es uns gelungen, die Gedenkstätten der Stiftung
Buchenwald und Mittelbau-Dora mit ihren Außenstellen zu stärken. Doch auch
weitere Einrichtungen wie die Gedenkstätte Topf und Söhne, das Deserteursdenkmal
in Erfurt und die ehemalige Haftzelle im Abgeordnetenhaus des Thüringer Landtags
haben wir finanziell abgesichert. Ebenfalls thematisierten wir BÜNDNISGRÜNE im
Rahmen von Gedenkveranstaltungen die Verfolgung der Sinti*zze und Rom*nja aber
auch Rosa-Winkel-Häftlinge stärker, die aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt
wurden. Also wollen wir auch in Zukunft die Gedenkstättenarbeit weiter
finanziell absichern und stellen uns den Angriffen auf die Gedenkkultur in
Thüringen entgegen. Wir werden uns weiterhin für eine Aufarbeitung und
Sichtbarmachung der verfolgten Menschen im Nationalsozialismus in Thüringen
einsetzen.
Deshalb setzen wir uns ein für:
- Dauerhafte finanzielle Absicherung der Gedenkstätten der Stiftung
Buchenwald und Mittelbau-Dora mit ihren Außenstellen und ihren
Einrichtungen
- Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen, Vereine und
Institutionen, die die Gräueltaten der NS-Diktatur aufarbeiten und für
eine lebendige Erinnerungskultur einstehen
- Stärkere Thematisierung der NS-Diktatur im schulischen Kontext im Sinne
einer historisch-politischen Menschenrechtsbildung
- Erhalt der Mahnmale und Erinnerungsorte der Opfer des Nationalsozialismus
- Aufarbeitung und Sichtbarmachung der Verfolgung von Sinti*zze und Rom*nja
im Nationalsozialismus in Thüringen
Aufarbeitung des SED-Unrechts
Auch die Aufarbeitung des Unrechts, welches Menschen in der Zeit der Deutschen
Demokratischen Republik erfahren mussten, steht für uns im Fokus. Besonders
Personen, die sich nicht anpassten oder sich aktiv gegen das SED-Regime
stellten, waren stark von Repressionen betroffen. Und auch mehr als 34 Jahre
nach der friedlichen Revolution ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts nicht
abgeschlossen. Zu diesem Zweck halten wir Orte wie die Gedenk- und
Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt für ein wichtiges und notwendiges Mittel
für ein generationsübergreifendes Erinnern und Aufarbeiten.
Dabei ist es uns wichtig, all die Menschen zu unterstützen, denen in der DDR
Unrecht widerfahren ist und die noch heute unter den Folgen leiden müssen. Die
vielschichtigen Wege der Auseinandersetzung mit der Geschichte der SED-Diktatur
und ihren Folgen wollen wir in Wissenschaft, Kultur und insbesondere der Schul-
und Erwachsenenbildung verankern und somit für alle Bürger*innen sichtbar
machen.
Deshalb setzen wir uns ein für:
- Schaffung eines nachhaltigen, verlässlichen Angebots für rechtliche
Beratung und psychosoziale Betreuung von Betroffenen des SED-Unrechts
- Weiterer Ausbau der vorhandenen Struktur des Landesbeauftragten zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur
- Auseinandersetzung mit der Geschichte der SED-Diktatur und ihren Folgen in
Wissenschaft, Kultur und insbesondere der Schul- und Erwachsenenbildung
- Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und Demokratiebildung an
Strukturen außerschulischen Lernorten da etablieren, wo sich der
Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheitsdienste
zurückzieht
- Erhalt der authentischen Erinnerungsorte an Demokratie- und
Diktaturerfahrungen sowie der Grenzlandmuseen und Denkmäler
- Stärkung der lokalen Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen von
Zeitzeug*innen
- Auf Bundesebene machen wir uns für die Anerkennung bisher nicht bedachter
Opfergruppen stark, wie verfolgte Schüler*innen und ehemalige Heimkinder
- Einsatz auf Bundesebene für Entschädigungsleistungen an Betroffene von
SED-Unrecht
- Prüfen, welche Mittel zur Kompensation eingesetzt werden können, wenn
Entschädigungsleistungen durch Bedürftigkeitsprüfungen und Einbeziehung
von Einkommen der Partner*innen reduziert wurden
- Auch nach Entfristung von Rehabilitierungsgesetzen, Entschädigung oder
Unterstützung von Personen aufsetzen, die aufgrund ihrer Geschichte wie
durch Enteignungen oder gebrochene Biografien erneut von Armut bedroht
sind
- Für Frauen, die in venerologischen Stationen eingesperrt und
Misshandlungen ausgesetzt waren, machen wir uns auf allen Ebenen für
spürbare Verbesserungen und umfassende Aufarbeitung stark
- Erneute Studie zur sozialen Lage der SED-Opfer des Thüringer
Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur aufsetzen
Aufarbeitung der Kolonialgeschichte
Nicht nur das Land Deutschland, sondern auch Thüringen selbst verfügt über eine
Kolonialgeschichte. Das koloniale Erbe und dessen Vergangenheit lässt sich noch
immer im gesamten Freistaat wiederfinden.
Unsere Vorfahren haben sich Gegenstände genommen, die Ihnen nie gehört haben.
Kunstgegenstände, die eine wichtige Bedeutung für die Kulturen in beraubten
Ländern hatten – und nun in unseren Museen zur Schau gestellt werden. Diese
Raubkunst muss wieder zurückgegeben werden. Wir stehen für einen reflektierten
Umgang sowie eine konsequente Aufarbeitung der Kolonialgeschichte ein. Für uns
ist klar, dass dies nicht nur ein wichtiger Schritt hin zu mehr Antirassismus in
Sprache und Weltbild ist, sondern der gesamten Gesellschaft eine wichtige
Perspektive aufzeigt. So möchten wir einen zeitgemäßen Umgang mit
dementsprechenden Straßenschildern, Verzierungen an Gebäuden oder
Ausstellungsstücken in Museen finden.
Deshalb setzen wir uns ein für:
- Eine Stärkung der Auseinandersetzung mit Kolonialgeschichte in Thüringer
Schulen
- Förderung von künstlerischen und nicht-künstlerischen Projekten zur
Zeitgeschichte
- Aufarbeitung des historischen Erbes (NS-Rasseforschung an der Universität
Jena oder der „Kolonial- und Völkerschau“ in Johannistal bei Eisenach)
durch wissenschaftliche und künstlerische Praxis
- Schwerpunkt der Herkunftsforschung von Kunstwerken und Kulturgütern
nächster Jahre auf Kulturpolitik legen, um Unrecht an ehemaligen
Kolonialstaaten wie Ausbeutung und Raub von Kulturgütern zu dokumentieren
(Provenienzforschung)
- Anerkennung und selbstkritische Auseinandersetzung auf Augenhöhe mit den
Staaten, die beraubt wurden
- Umbenennung von Straßennamen und öffentlichen Orten, deren Namen den
deutschen Kolonialismus verharmlosen oder Menschen würdigen, die mit
Verbrechen im Kolonialismus in Verbindung stehen
- Einrichtung eines Landesfonds, der Kommunen bei der Umbenennung von
Straßen und Orten unterstützt