Veranstaltung: | LDK Jena 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 8. Landtagswahlprogramm 2024 |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz in Jena vom 02. - 04. Februar 2024 |
Beschlossen am: | 04.02.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
A. Umwelt bewahren – nachhaltiges Wirtschaften 8. Wir machen Bauen und Wohnen klimaneutral und bezahlbar
Text
Wir machen Bauen und Wohnen klimaneutral und
bezahlbar
Jeder Mensch hat ein Recht auf angemessenen Wohnraum. Dies ist auch in der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem UN-Sozialpakt verankert. Wohnen
hat dabei eine große soziale Bedeutung: Unsere Wohnung ist unser Rückzugsort und
unser Zuhause. Passenden Wohnraum zu schaffen ist eine Gemeinschaftsaufgabe von
Bund, Ländern und Kommunen. Hier gilt es vonseiten des Landes vor allem gute
Rahmenbedingungen zu schaffen. Darüber hinaus muss gezielt dort gefördert
werden, wo bezahlbarer Wohnraum sonst nicht entstehen könnte. Unser Anspruch ist
es, dass jeder Mensch selbstbestimmt wohnen kann. Der Geldbeutel allein darf
dabei nicht darüber entscheiden, wo und wie wir wohnen. Damit dies gelingt,
bedarf es einer Wohnstrategie, die mehr als eine reine Wohnungsbaupolitik
umfasst.
Wir BÜNDNISGRÜNE wollen eine Wohnungspolitik, die sich am Gemeinwohl orientiert
und den Fokus statt Neubau auf Sanierung und Bestand legt. Nur so können wir ein
bezahlbares, sozial gerechtes und klimaneutrales Wohnen ermöglichen.
In Thüringen ist die Lage am Wohnungsmarkt sehr unterschiedlich: In einigen
Städten, wie beispielsweise Erfurt und Jena, ist die Suche nach einer
bezahlbaren Wohnung zeitraubend und herausfordernd. In anderen Gemeinden und
Städten ist der Leerstand deutlich höher. Hier hat die demografische Krise in
den letzten Jahren mitunter zu Abriss, Rückbau oder Verfall geführt. Die
verstärkte Zuwanderung hat diesen Trend vorerst gestoppt und auch in kleineren
Städten und ländlicheren Regionen steigt die Nachfrage nach Wohnraum wieder.
Auch Bauen muss im Freistaat insgesamt klimafreundlicher und
ressourcenschonender werden. Und auch die Wärmewende packen wir an, denn der
Gebäudesektor ist für 40 Prozent der CO2-Emmissionen verantwortlich. Ob wir die
Umstellung auf eine klimaneutrale Gesellschaft schaffen, entscheidet sich auch
an der Art und Weise, wie wir bauen. Und an unserem Umgang mit Neubau,
Sanierungen und Wohnen.
Kernziele:
- Wohnungsbauförderung reformieren, um klimaneutrales, bezahlbares und
barrierefreies Wohnen zu sichern
- Ökologisches Bauen zum neuen Standard machen und Sanierung priorisieren
- Kommunen bei Umsetzung der “15-Minuten-Stadt” und einer inklusiven
Stadtplanung unterstützen
- Maßnahmenpaket gegen Wohnungslosigkeit auf den Weg bringen
Bedingungen schaffen für bezahlbares Wohnen
Gestiegene Baukosten, eine steigende Anzahl an Singlehaushalten sowie ein
steigender Flächenbedarf und Anforderungen der Wärmewende: Die Herausforderungen
im Wohnsektor sind groß. Hier wollen wir politisch gezielt eingreifen, um
bezahlbares und sozial gerechtes Wohnen auch in Zukunft zu sichern. Dazu gehört
nicht nur sozialer Wohnungsbau, sondern auch neue Formen der
Wohnungsbauförderung. Die Zukunft des Wohnens ist für uns gemeinschaftlich,
generationenübergreifend, klimaneutral und demokratisch. Dafür müssen wir nun
die Voraussetzungen schaffen und insbesondere soziale Wohnungsunternehmen
gezielt unterstützen.
Deshalb setzen wir uns ein für:
- Eine Förderung bezahlbaren Wohnens nicht nur für belegungsgebundenen
Wohnraum („Sozialwohnungen“), sondern zusätzlich nach Aspekten wie
Familienfreundlichkeit, Barrierefreiheit, Klimaneutralität, Angebot von
Leistungen des betreuten Wohnens etc.
- Förderprogramme und -richtlinien weiterentwickeln und ausreichend mit Geld
ausstatten, sodass die Anzahl der Sozialwohnungen mindestens gehalten
werden kann
- Prüfung von Vorkaufsrecht für Kommunen für sozial geförderten Wohnraum
nach Auslauf der Bindung
- Stärkere Unterstützungen für klimafreundliche Sanierungen im Bestand und
Verdreifachung der Sanierungsquote (siehe Kapitel Klima)
- Schaffung von großen Wohnungen mit mehr als drei Zimmern und von flexiblem
Wohnraum besonders fördern, um Familien geeigneten Wohnraum auch innerhalb
der Städte bereitzustellen
- Gezielte Unterstützung und Beratung bei der Schaffung von
generationenübergreifendem Wohnen
- Unterstützung von Baugemeinschaften und Wohnprojekten sowie Projekte für
Mieterstrom (siehe Kapitel Energie)
- Förderung von Wohnungstauschbörsen und Wohnen gegen Hilfe als Ergänzung zu
Investitionen in bezahlbares Wohnen
- Konzept- und Kriterienvergabe sowie Erbbaurecht vorrangig für ökologische,
soziale und kulturelle Projekte statt Verkauf, vor allem bei
Landesliegenschaften
- Weiterhin enge Zusammenarbeit mit kommunalen und genossenschaftlichen
Wohnungsunternehmen
- Einführung Wohnraumsicherungsgesetz mit schnelleren und schärferen
Eingriffsmöglichkeiten bei Zweckentfremdungen
- Unterstützung der Kommunen bei Bodenbevorratung und Ausübung von
Vorkaufsrechten, um Spekulation zu begrenzen
- Unterstützung der Kommunen zur eigenen Entwicklung geeigneter Bauflächen,
vorrangig von Bestandsflächen, durch Landesentwicklungsgesellschaft sowie
Finanzierungshilfen
- Einrichtung benötigter Fonds für Flächenankauf und -entwicklung in
Thüringer Kommunalordnung ermöglichen
- Unterstützung der Kommunen bei der Erstellung qualifizierter Mietspiegel,
um Mieter*innen zu schützen und Transparenz zu schaffen
- Landkreisen ermöglichen, sich im Wohnungsbau zu engagieren
- Ermöglichung von kostenfreier Beratung zur Mietpreisbremse durch den
Mieterverein
- Initiative im Bundesrat zur Zahlung von Grunderwerbssteuer auch bei
sogenannten Share Deals (anteiligem Ankauf von Wohnungsunternehmen)
- Mietendeckel für Thüringen ermöglichen durch Nutzung der
Länderöffnungsklausel auf Bundesebene
- Harmonisierung der Baugesetzgebungen der Länder
Ressourceneffizientes Bauen und Sanieren
Das Bauen der Zukunft muss klimaneutral, flächensparend und recycelbar sein. Um
diese Ressourcenschonung zu erreichen, fokussieren wir uns auf die Themen
Bestandserhaltung und Sanierung.
Die Wärmewende stellt die Wohnungsunternehmen vor große Herausforderungen, auch
in der Zusammenarbeit mit den Energieversorgern. Wir unterstützen die
Wohnungsunternehmen, ihren Teil der Wärmewende zu meistern und Wohnen so
klimaneutral und bezahlbar zu sichern.
Deshalb setzen wir uns ein für:
- Ökologisches Bauen als neuen Standard, um CO2-Emissionen zu senken und
Rohstoffe zu schonen
- Gezielte Förderung von seriellem und modularem Bauen und Sanieren auflegen
- Fokus auf Bestandserhalt, gezielter Rückbau nur an ungeeigneten Standorten
wie Überflutungsgebieten
- Ziel „Netto Null“ bei Neuversiegelung inklusive Ausgleichssystem (siehe
Kapitel Umwelt)
- Verwendung ökologischer Baumaterialien wie Holz, Stroh, Lehm stärken, in
Thüringer Bauordnung vereinfachen und mit anderen Bundesländern
harmonisieren (siehe Kapitel Wald)
- Einführung eines Zentrums für ressourceneffizientes und klimaneutrales
Bauen und Sanieren
- Verstärkte Nutzung von Recyclingbaustoffen und -gewinnung auch bei Rückbau
(„Urban Mining“), vor allem bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand,
perspektivisch Einführung einer Quote
- Pilotprojekte zur Etablierung von Wärmerückgewinnung aus Grauwasser bei
Großbauprojekten
- Förderprogramme für Sanierungen gemeinsam mit Wohnungsgenossenschaften und
Kommunalen Wohnungsgesellschaften evaluieren und weiterentwickeln
- Landesbauordnung zu „Umbauordnung“ umgestalten, sodass Umbau und die
Nutzung von vorhandener Bausubstanz erleichtert werden
- Ausstattung mit PV-Anlage als neuer Standard bei Neubauten und
Dachsanierungen (siehe Kapitel Klima)
- Vorkehrung für baulichen Hitzeschutz und Verschattung zum neuen baulichen
Standard machen (siehe Kapitel Hitzeschutz)
- Gezielte Unterstützung der Thüringer Wohnungsunternehmen bei den
Herausforderungen der Wärmewende in Zusammenarbeit mit den Kommunen und
Energieversorgern (siehe Kapitel Klima)
Sichere und lebenswerte Quartiere für alle
Unsere Städte und Gemeinden sollen vielfältige Orte der Begegnung und des
Austauschs zwischen den unterschiedlichsten Menschen sein. In ihrer Gestaltung
müssen sie alle einbeziehen und dabei auch explizit eingehen auf die Bedürfnisse
von Frauen, queeren Personen, Älteren, Familien und Menschen mit Behinderung.
Und sie sollen für alle Menschen sicher sein.
Auch dem zunehmenden Leerstand von Geschäften gerade in ländlicheren Regionen
gilt es entgegenzuwirken. Hier wollen und müssen wir gezielte Gegenmaßnahmen
ergreifen, um die Ortskerne attraktiv zu halten. Um dies umzusetzen, eignet sich
das Konzept der “15-Minuten-Stadt” beziehungsweise der “60-Minuten-Region”, bei
dem Angebote des täglichen Lebens wie Ärzt*innen, Einkaufsläden, Schulen und
Kindergärten für alle in Wohnortnähe gut erreichbar sind.
Deshalb setzen wir uns ein für:
- Ein Neudenken von Innenstädten und Ortskernen, um die Aufenthaltsqualität
zu erhöhen und Begegnungsräume zu schaffen
- Kommunen unterstützen bei Konzepten zum Abbau von Leerstand und
intelligente alternative oder Zwischennutzung, zum Beispiel durch Start
Ups oder nichtkommerzielle Nutzung als Begegnungsraum (siehe Kapitel
ländliche Räume)
- Ortskerne und Zentren lebenswert halten durch Geschäfte in der Innenstadt,
nicht vor den Toren der Stadt
- Innenentwicklung vor Außenentwicklung: Potentiale innerhalb der Städte und
Gemeinden nutzen
- Planungsrechtliche Verankerung der Schwammstadt im Rahmen einer Novelle
der Bauordnung nach Vorbild von Hessen, um den Kommunen größere Spielräume
für den den Erlass für Gestaltungssatzungen Klima und Freiräume zu
ermöglichen
- Städte und Gemeinden bei Umsetzung der 15-Minuten-Stadt unterstützen,
damit alle Bedarfe des täglichen Lebens in unmittelbarer Reichweite
verfügbar sind
- Ausweitung des Konzepts auf die „60-Minuten-Region“ mit entsprechender
Investition in die Infrastruktur
- Kinderfreundliche Gestaltung des Wohnumfelds als Voraussetzung für
Förderung einführen
- Kommunen unterstützen bei Vorhaben zur Begrenzung des Durchgangsverkehrs
und zur Einrichtung autofreier Zonen und Viertel
- Stellplatzverordnung anpassen, um autoärmere Quartiersentwicklung zu
ermöglichen
- Gewerbegebiete zwingend mit ÖPNV-Anbindung und Radweg ausstatten, um sie
für alle erreichbar zu machen
- Städte und Gemeinden unterstützen bei Maßnahmen zur Umrüstung auf
Schwammstadt und zur Anpassung an den Klimawandel u. a. durch mehr offene
Wasserflächen und mehr Stadtgrün (klimaresiliente Stadt) (siehe Kapitel
Klima)
- Kleingarten-Vereine, die durch Rückbau von Parzellen in finanzielle
Schwierigkeiten kommen, wollen wir unterstützen
- Erhalt des Kleingartenwesen und derer regionalen Strukturen sowie
stärkerer Einbezug dieser in der Raumplanung
- Mehr „essbare Städte“ in Thüringen, die auf Bepflanzungen im öffentlichen
Raum mit Obst und Gemüse setzen
- Unterstützung der Entwicklung der Städte hin zur Smart City, bei der
Digitalisierung klug eingesetzt wird
- Eine inklusive Stadtplanung zum neuen Standard machen, die besonders auf
die Bedürfnisse von Frauen, queeren Menschen, Familien, Älteren und
Menschen mit Behinderung Rücksicht nimmt, dazu gehören ein Fokus auf
Nahmobilität, sichere Schulwege, Auflösung von Angsträumen, lebenswerte
Quartiere mit Spielplätzen und gut erreichbaren Betreuungsangeboten
(feministische Stadtentwicklung)
Wohnungslosigkeit reduzieren
Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit sind auch in Thüringen ein Problem.
Schätzungsweise mehr als 1000 Menschen sind betroffen, die Dunkelziffer ist
jedoch deutlich höher. In einem reichen Land wie Deutschland ist dies kein
akzeptabler Zustand. Wir als BÜNDNISGRÜNE unterstützen daher die Kommunen auch
in Zukunft dabei, Wohnungslosigkeit einzudämmen und wohnungslose Menschen
adäquat zu unterstützen. Dabei spielen besonders die präventiven Angebote eine
große Rolle – damit Wohnungslosigkeit gar nicht erst entstehen kann.
Um dies zu ermöglichen, müssen Kommunen, Wohnungswirtschaft, freie Träger und
das Land eng zusammenarbeiten.
Deshalb setzen wir uns ein für:
- Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit
- Landesweite Koordinierungsstelle schaffen als zentrale Anlaufstelle für
Verwaltung, freie Träger und betroffene Menschen
- Not- und Gemeinschaftsunterkünfte für Wohnungslose weiterentwickeln und
landesweite Standards schaffen
- Kommunen unterstützen bei besserer personeller Ausstattung in Sozialämtern
und bei sozialpädagogischer Versorgung
- Ambulante Hilfeformen zur längeren Begleitung der Betroffenen unterstützen
- Menschen mit multiplen Problemlagen besonders unterstützen (Behinderung,
Substanzmittelabhängigkeit, …)
- Niedrigschwelliger Zugang zu Unterstützungsformen, um Menschen zurück in
Wohnungen zu bringen
- Langfristig gezielte Förderung von Housing-First-Programmen