Veranstaltung: | LDK Erfurt 2025 |
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Tagesordnungspunkt: | 10 Sonstige Anträge |
Antragsteller*in: | Tim Strähnz (KV Jena) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 29.09.2025, 17:28 |
A2: Bezahlkarte diskriminiert Geflüchtete, Leistungsausschluss nicht vereinbar mit Verfassungs- und Europarecht
Antragstext
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für menschenrechtsbasierte Politik – auch in
Thüringen
In allen Thüringer Landkreisen und der Stadt Gera wurden seit 2023/24
unterschiedlichste sogenannte Bezahlkarten für Geflüchtete eingeführt. Getarnt
unter dem Vorwand der Praktikabilität ging es vielen Landräten und auch der
aktuellen Landesregierung augenscheinlich um rassistische Motive: den Aufenthalt
für Geflüchtete in Thüringen so unangenehm wie möglich zu machen.
Bündnis 90/Die Grünen Thüringen setzen sich stattdessen für eine
menschenrechtsbasierte Migrationspolitik ein. Wir wollen Integration
ermöglichen, Teilhabe sichern und Geflüchteten eine echte Perspektive bieten.
Deshalb fordern wir:
- Eine bedarfsgerechte und verlässliche Finanzierung von
Integrationsprojekten, Beratung und Sprach- und Integrationsangeboten
mindestens auf dem Niveau von 2025.
- Ein Integration- und Teilhabegesetz in Thüringen, dass
Integrationsmaßnahmen verlässlich absichert.
- Basiskonten für alle Geflüchteten statt diskriminierender Bezahlkarten
- Die Existenzsicherung aller Menschen und ein Ende des
Leistungsausschlusses für Dublin-Verfahrens-Betroffene.
- Schluss mit der Gängelung Betroffener und stattdessen die Abschaffung
aller Hürden beim Übergang zum Arbeitsmarkt- und in Bildung.
- Aufbau einer oder mehrerer menschenwürdiger Erstaufnahmeeinrichtungen mit
geeigneter Infrastruktur und Anbindung sowie Zugang zu Beratung, Betreuung
und medizinischer Unterstützung.
- Schließung der menschenrechtswidrigen Abschiebehaftanstalt und Nutzung der
freiwerdenden finanziellen Mittel für Integrationsprojekte.
Am 4.Juni 2025 unterzeichneten der Thüringische Landkreistag und der Gemeinde-
und Städtebund Thüringen sowie das zuständige Ministerium TMJMV eine
Rahmenvereinbarung über die Einführung und den Betrieb einer Landesbezahlkarte
für Empfänger*innen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
(AsylbLG) in Thüringen. Dieser Rahmenvereinbarung traten in der Folge auch die
bis dato nicht beteiligten Städte Erfurt und Weimar bei. Stadtratsbeschlüsse
dazu gab es nicht, die Oberbürgermeister begründeten dies mit dem Handeln im
übertragenen Wirkungskreis.
Die Rahmenvereinbarung beruft sich auf die zwischen Bundes- und
Landesregierungen geeinten Mindeststandards und beinhaltet darüber hinaus die
Regelungen, dass die Nutzung der künftigen Landesbezahlkarte auf die
Bundesrepublik beschränkt ist, die Karte als Bargeldersatz mit eingeschränktem
Anwendungsbereich gilt, Onlinekäufe und Money Transfer Services ebenso
ausgeschlossen sind, wie bestimmte Händlergruppen und Branchen und
Bargeldabhebungen monatlich auf 50 Euro pro Leistungsempfänger*in beschränkt
werden. Ausnahmen soll es für Aufwandsentschädigungen für sog.
Arbeitsgelegenheiten geben, diese können entweder bar ausgezahlt oder ggf. auch
über die Karte abgehoben werden.
Die Erfahrung mit den bereits seit Ende 2023/Anfang 2024 in Thüringen
eingesetzten Bezahlkarten zeigt, dass Geflüchtete damit massiv benachteiligt
sind und diskriminiert werden. Eine Teilhabe am gesellschaftlichen und
kulturellen Leben wird so weiter erschwert. Leidtragende sind schon jetzt alle
davon Betroffenen.
So ist beispielsweise Bargeld häufig Voraussetzung für die Nutzung von
Flohmärkten und Gebrauchtmarktplattformen sowie öffentlichen Toiletten, den
Fahrkartenkauf im ÖPNV, die Teilnahme an Schulaktivitäten, die Bezahlung eines
anwaltlichen Beratungsscheins oder eines Sprachkurses und vielem mehr.
Andererseits sind auch Überweisungen häufig Voraussetzung für
Dauerschuldverträge wie Telefonverträge, sodass den Betroffenen wesentliche
Kommunikationskanäle fehlen. Alle diese Möglichkeiten müssen auch für
Geflüchtete weiterhin offenstehen. Hinzu kommt, dass in der Praxis schon jetzt
Geflüchteten vielfach verwehrt wird, mit ihren Karten bspw. Gutscheine zu
erwerben.
Dies erinnert nicht zufällig an die 1990er und 2000er Jahre, in denen viele
Geflüchtete schlimme Erfahrungen mit Gutscheinen und den sogenannten
Kundenkontoblättern machen mussten. Deren Ablösung durch Bargeldzahlungen waren
ein immenser Fortschritt und ein menschenrechtsbasierter Ansatz, um Teilhabe
auch praktisch und monetär erfahrbar zu machen.
In Thüringen organisiert derzeit maßgeblich die Seebrücke den Umtausch von
Gutscheinen, um Geflüchtete mit Bargeld zu versorgen und ihnen
Handlungsspielräume und ein kleines Stück Selbstbestimmung zu ermöglichen.
Vor diesem Hintergrund sehen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen die landesweite
Einführung der diskriminierenden Bezahlkarte mit großer Sorge. Wir sind weiter
davon überzeugt, dass Basiskonten für alle eine sinnvolle und
diskriminierungsfreie Alternative sind, die zudem den Verwaltungsaufwand in den
Kommunen drastisch senken würden.
Immer klarer wird, dass die Einführung diskriminierender Bezahlkarten für
Geflüchtete nur ein Einstieg in eine weitere Gängelung auch anderer
Leistungsberechtigter ist. CDU-Ministerpräsident Voigt hat sich, inzwischen auch
unterstützt von SPD-Innenminister Maier, in den letzten Wochen immer wieder
gegen den Bürgergeldbezug von Menschen aus der Ukraine positioniert und nicht
nur aus Greiz und Sonneberg wurde von den Landräten vorgeschlagen, grundsätzlich
über Bezahlkarten für Bürgergeldempfänger*innen nachzudenken. Sogar SPD-Landräte
fordern mittlerweile, dass Sozialleistungen nur noch als Darlehen gewährt werden
sollen. Hinzu kommen die Rufe nach einer generellen Arbeitspflicht für
Leistungsbezieher*innen. Das alles ist nicht nur grundgesetzwidrig, sondern auch
menschenverachtend.
Noch drastischer trifft es Menschen im „Dublin Verfahren“, die auch in Thüringen
von jeglichen Sozialleistungen ausgeschlossen werden, wenn ihre Abschiebung
angeordnet wurde und sie keine Duldung erhalten. Das bedeutet in der Konsequenz,
dass Betroffene – darunter auch Familien mit minderjährigen Kindern – nur noch
maximal 2 Wochen Überbrückungsleistungen für das physische Existenzminimum
erhalten und danach der komplette Leistungsausschluss inklusive Obdachlosigkeit
und Ausschluss von medizinischer Versorgung droht. Das ist nichts anderes als
organisierte Verelendung. Insbesondere in Verbindung mit einer möglichen
Verlängerung der DUBLIN-Frist ist dieses Vorgehen geeignet Menschen quasi in die
Illegalität zu treiben, statt Perspektiven zu schaffen.
Nicht nur wir sind davon überzeugt: Dieser drastische Leistungsausschluss ist
mit dem Verfassungs- und Europarecht nicht vereinbar. Auch die
Wohlfahrtsverbände kritisieren die Bundes- und Landesregierung und fordern die
zuständige Ministerin, Beate Meißner, auf, die in Thüringen gängige
grundrechtsverletzende Anwendung von § 1 Absatz 4 AsylbLG aufzugeben. Gemeinsam
mit den Sozialverbänden fordern wir stattdessen eine verfassungskonforme
Regelung, die sicherstellt, dass kein Mensch ohne Zugang zu existenzsichernden
Leistungen bleibt.
Erst kürzlich hat die Landesregierung ihren Entwurf für den Doppelhaushalt
2026/2027 beschlossen. Dieser sieht drastische Kürzungen gerade auch für den
Bereich der Integration vor. Für die Sozialberatung in den Kommunen sowie die
gesamte Projektförderung sollen künftig nur noch 8 Millionen Euro zur Verfügung
stehen – statt 13 Millionen Euro wie noch 2025. Das hätte dramatische Folgen für
die Integrationsprojekte im Land sowie für die Beratung und Begleitung
Geflüchteter und damit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ist umso
absurder in einem überaltertem Bundesland wie Thüringen, das auf Migration und
gelungene Integration so dringend angewiesen ist.
Nicht nur vor diesem Hintergrund haben Kürzungen auf Bundes- und Europaebene
drastische Auswirkungen, so dass beispielsweise Beratungs- und Therapieangebote
von refugio thüringen e.V. zu einem großen Teil vor dem Aus stehen.
Auch einen Plan, wo und wie Geflüchtete künftig menschenwürdig untergebracht
werden, wie ihnen Teilhabe und der Zugang zum Arbeitsmarkt besser ermöglicht
wird, ist mit Blick auf die Brombeerkoalition nicht erkennbar.
Statt sich diesen dringenden Problemen in der Migrations- und
Integrationspolitik zu widmen, setzt die Brombeerkoalition auf ausgrenzende und
falsche Symbolpolitik – etwa mit dem Aufbau einer eigenen Abschiebehaft, die
nicht nur teuer, sondern auch unnötig ist, da nur ein Bruchteil der
Abschiebungen am Widerstand der Betroffenen scheitern.
Die aktuellen Debatten rund um das Grundrecht auf Asyl und die Einschränkung von
Menschenrechten sorgen in Thüringen für Angst und große Unruhe unter den
Betroffenen und den in der Flüchtlingshilfe und Beratung Engagierten. Viele
Geflüchtete haben zudem Angst vor Übergriffen und Gewalt. Dazu tragen auch
rassistische Narrative bei, die immer breiter ungeprüft in die Öffentlichkeit
getragen und verbreitet werden.
Wir Bündnisgrünen in Thüringen sind hervorgegangen aus der Bürgerrechtsbewegung
in der DDR. Viele von uns eint die Erfahrung geschlossener tödlicher Grenzen.
Wir wissen: Kein Mensch flieht freiwillig.
Wir stehen ohne wenn und aber für eine menschenrechtsbasierte Politik, die die
Würde jedes Menschen achtet.
Uns ist bewusst, dass Integration keine Einbahnstraße, sondern ein Prozess ist,
der Zeit, Geld, Ressourcen und vor allem aber Menschen braucht, die sich dafür
stark machen und nicht gewillt sind, Hass und Hetze die Oberhand oder die Hoheit
über die Stammtische gewinnen zu lassen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen danken all denen, die sich vor Ort für gelebte
Integration einsetzen, die Zugänge schaffen, Spurwechsel ermöglichen und das
Miteinander stärken. Wir unterstützen zudem Initiativen wie die Seebrücke, die
den Umtausch von Gutscheinen organisieren und so Solidarität praktisch erfahrbar
machen.
Unterstützer*innen
- Astrid Rothe-Beinlich (KV Erfurt)
- Jasper Robeck (KV Erfurt)
- Ann-Sophie Bohm (KV Weimar)
- Arnd Strobel (KV Greiz)
- Madeleine Henfling (KV Ilm-Kreis)
- Christian Krohmann (KV Ilm-Kreis)
- Lara Sagehorn (KV Erfurt)
- Matthias Altmann (KV Weimar)
- Reinhard Loos (KV Erfurt)
- Knut Meenzen (KV Saale-Holzlandkreis)
- Thomas Schaefer (KV Erfurt)
- Thomas Grauel (KV Ilm-Kreis)
- Maximilian Volz (KV Weimar-Stadt)
- Marie Möller (KV Erfurt)
- Gabriele Herrmann (KV Weimar)
- Jacqueline Thieme (KV Saale-Holzlandkreis)
- Wiebke Hegemann (KV Erfurt)
- Christoph Schnegg (KV Weimarer Land)
- Christina Richter (KV Jena)
- Thomas Blankenburg (KV Ilm-Kreis)
- Clara Käßner (KV Gera)
- David Döring (KV Gera)
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