Veranstaltung: | LDK Leinefelde Juni 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Thomas Schaefer |
Eingereicht: | 25.05.2022, 20:26 |
Freiwilligendienste ausbauen, anerkennen und modernisieren!
Beschlusstext
Freiwilligendienste stärken den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und sind eine
besonders wertvolle Form des bürgerschaftlichen Engagements. Junge aber auch
Menschen aller Generationen können sich hier einerseits ausprobieren und
andererseits für das Gemeinwohl und eine aktive Gesellschaft einsetzen.
Allerdings sind Freiwilligendienste auf politische Rahmenbedingungen angewiesen,
die diese attraktiv und für jede und jeden zugänglich machen. Zudem muss es
darum gehen, dass Freiwilligendienste sinnstiftend sind und die Demokratie
stärken sowie sozialen Zusammenhalt fördern. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen
setzen sich dafür ein, diesen Anspruch zu verwirklichen.
Die Jugendfreiwilligendienste (Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwilliges
Ökologisches Jahr, Freiwilliges Kulturelles Jahr und freiwilliges Politisches
Jahr) haben sich auch in Thüringen gut etabliert. Es sind Bildungs- und
Orientierungsjahre, in denen man gleichzeitig Verantwortung übernimmt und
gemeinwohlorientiert handelt. Für uns kommt es darauf an, dass bei der
Ausgestaltung der Freiwilligendienste, weniger die finanziellen Zwänge, sondern
vielmehr die Interessen der Freiwilligen und eine gute Begleitung dieser im
Vordergrund stehen.
In Thüringen engagieren sich jährlich etwa 1.000 junge Menschen in einem
Jugendfreiwilligendienst, etwa 1.300 Personen übernahmen 2021 einen
Bundesfreiwilligendienst (BFD). Es ist allerdings festzustellen, dass die BFD-
Stellen in Thüringen seit 2018 um etwa 1/5 zurückgegangen sind. Daher braucht es
dringend eine neue Offensive, um Freiwilligendienste bekannter zu machen und
attraktiver auszugestalten.
Schon in der Schulzeit sollten allen die Möglichkeit eines Freiwilligendienstes
vorgestellt und nahegebracht werden. Viele wissen nämlich gar nichts über die
geltenden Rahmenbedingungen und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten.
Trotz des verzeichneten Rückgangs gibt es vor allem in den Bereichen der
Freiwilligendienste Kultur, Politik und des ökologischen Jahres meist mehr
Bewerbungen als Plätze verfügbar sind. Wir setzen uns für die höhere
Bereitstellung an Bundesmitteln zur Schaffung weiterer Plätze unter Achtung der
Qualitätskriterien ein. Auch auf diese Weise soll in Zukunft mehr Menschen
ermöglicht werden sich mit einem Freiwilligenjahr einzubringen.
Für uns steht ganz grundsätzlich fest, dass Einsatzstellen im Freiwilligendienst
kein Ersatz für reguläre Arbeitsplätze sein dürfen. Freiwillige dürfen nicht als
billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass
Freiwilligendienste stattdessen weiterhin als echtes Lern- und Bildungsangebot
anerkannt werden sowie eine Form des freiwilligen Engagements bleiben. Um das
sicherzustellen und Freiwilligendienste auch in Zukunft unabhängig von
wirtschaftliche Zwängen anzubieten, setzen wir uns für eine größere staatliche
Beteiligung an den Geldern für die Freiwilligen, um übermäßige Belastungen für
Einsatzstellen zu vermeiden, ein.
Freiwilligendienste sollen alle Menschen ansprechen und allen Menschen möglich
sein. Deshalb sind Zugangshürden dringend abzubauen. Das Recht auf Teilhabe und
Inklusion gilt es auch in den Freiwilligendiensten zu garantieren. Deswegen ist
der Mehrbedarf für Freiwillige mit besonderen Bedarfen oder Assistenzen
abzusichern. In diesem Sinne sollten Freiwilligendienste auch jungen Menschen
mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen offenstehen. Deshalb wollen wir
Freiwilligendienste auch in Teilzeit ermöglichen.
Eine weitere große Zugangshürde stellt die Finanzierung eines Freiwilligenjahres
dar. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass Freiwilligendienste in Thüringen
besser ausfinanziert werden, damit sich junge Menschen unabhängig vom Einkommen
ihrer Eltern engagieren können. Ein Taschengeld von 150 Euro im Monat sowie eine
Pauschale von 150 Euro im Monat für Unterkunft und Verpflegung reichen dafür
jedenfalls nicht aus. In anderen Bundesländern wird längst mehr bezahlt und das
Taschengeld im Bundesfreiwilligendienst ist mit 430 Euro auch nach der geplanten
Erhöhung auf 350€ im nächsten Jahr deutlich höher. Deswegen wollen wir die
Taschengeldsätze in Thüringen endlich anheben - eine Gleichstellung mit den
Sätzen im BFD wäre hier ein guter Schritt. Doch auch dann sind
Freiwilligendienste noch eine finanzielle Zumutung, die viele Personen
ausschließt, die sich nicht auf Unterstützung und finanzielle Sicherheit
beispielsweise durch deren Eltern verlassen können. Das Taschengeld muss
existenzsichernd werden! Wir als Bündnis90/GRÜNE Thüringen setzen uns dafür ein,
dass das Taschengeld im folgenden Schritt einheitlich auf das Leistungsniveau
des geplanten Bürgergelds angehoben wird.
Des Weiteren braucht es eine Erneuerung der Berechnung der Wohnkosten: Statt
einer Pauschale von derzeit 75 Euro bei Freiwilligen, die keine Unterkunft zur
Verfügung gestellt bekommen können, sollte es eine am örtlichen Wohnungsmarkt
orientierte Auszahlung geben. Vorstellbar wäre ein am Median der örtlichen Miete
orientierter Betrag.
Um den Freiwilligen genug Zeit für Reflexion, Weiterbildung etc. im Alltag zu
ermöglichen, schlagen wir eine Reduzierung der Regelarbeitszeit von 40 auf 35
Stunden wöchentlich vor. Zudem sollte die Zahl der freien Bildungstage erhöht
werden.
Freiwilligendienste sollen ihrem Verständnis nach als zentralen Wert
bürgerschaftliches Engagement wertschätzen und vermitteln. Dem widerspricht in
gewisser Weise die Arbeitsauslastung einer 40h/35h Woche, die grade in Kontrast
zu schulischen oder studentischen Lebensweisen wenig Zeit für weiteres
Engagement über die Einsatzstelle hinaus lassen. Für politisches oder
gesellschaftliches Engagement in Vereinen, Intiativen oder der
Freiwilligenvertretung sollten Freiwillige bis zu einem bestimmten Umfang von
bspw. 5h/Woche freigestellt werden. Die Kosten sollten über den Träger durch den
Staat übernommen werden.
Wichtig ist die professionelle Begleitung der Freiwilligendienste, zu der
beispielsweise auch die regelmäßigen Seminarangebote gehören. Ein
Freiwilligendienst kann immer nur so gut sein wie die professionelle Struktur
dahinter. Zur Überprüfung der Anforderungen der Freiwilligendienste an
Einsatzstellen und die Begleitung der Freiwilligen durch den Träger müssen
diese, insbesondere personell, adequat ausgestattet werden. Die Begleitung durch
die Träger sollte an den individuellen Bedürfnissen der Freiwilligen orientiert
sein. Um dies zu gewährleisten müssen die Träger angemessen Personal und Raum
einplanen.
Die Digitalisierung wird auch für die Freiwilligendienste immer wichtiger.
Deswegen sollte auch die Förderung adäquat angepasst werden und digitale
pädagogische Begleitung ebenso wie das Antrags-, Bewerbungs- und
Vermittlungsverfahren, die Öffentlichkeitsarbeit und ein systematische
Ehemaligenmanagement, um den Übergang in ein weiterführendes Engagement
nachhaltig zu gestalten.
Wir Grüne machen uns darüber hinaus dafür stark, die Kostenheranziehung für
junge Erwachsene im SGB VIII abzuschaffen. Außerdem darf das Taschengeld nicht
auf die Grundleistung für Arbeitssuchende angerechnet werden. Auch damit wird
das Engagement der Freiwilligen besser anerkannt.
Nach dem Motto "Freie Fahrt für Freiwillige" als Anerkennung und Wertschätzung
des Engagements wollen wir mittelfristig kostenfreie Tickets für Bus und Bahn in
Thüringen ermöglichen.
Wichtig scheint uns zudem die Anerkennung von Freiwilligendiensten auch für den
weiteren Bildungsweg. Teils werden Freiwilligendienste bereits in einzelnen
Bereichen als Praktikum oder als Wartesemester in der Studienplatzvergabe
berücksichtigt. Wir setzen uns dafür ein, dass die Erfahrungen und das Wissen,
dass in einem Freiwilligendienst gesammelt wird breiter anerkannt und bei
weiteren Ausbildungen angerechnet oder in Hinsicht auf die Ausbildungsdauer
berücksichtigt wird. Auch die Anerkennung als Wartesemester soll sich allgemein
durchsetzen.
Die Freiwilligendienste sind ein wichtiges Element einer demokratischen
Zivilgesellschaft. Ihr wertorientiertes Verständnis als Bildungsjahr und Jahr
des freiwilligen Engagements mit einem klaren Fokus auf die Freiwilligen selbst
und ihren Platz in der Gesellschaft sind wertvoll und unterstützenswert. Wir
sind uns bewusst, dass für eine an den Qualitätskriterien orientierte
Durchführung der Freiwilligendienste die Grundsätze der Arbeitsmarktneutralität
und der professionellen pädagogischen Begleitung besonders zentral sind.
Die Forderung nach einer allgemeinen Dienstpflicht oder gar Wehrpflicht steht
diesen Zielen und Grundsätzen entgegen. Bündnis90/DieGrünen Thüringen lehnen
solche Forderungen strikt ab und setzen uns stattdessen für die aufgeführten
Verbesserungen für Freiwilligendienste ein, um in Zukunft mehr Menschen einen
guten Freiwilligendienst zu ermöglichen.
Begründung
Der Antrag ist in weiten Teilen selbsterklärend, wenn es Rückfragen gibt könnt ihr sie uns gerne stellen.
Einige der angesprochenen Punkte im Antrag sind Bundeskompetenzen. Da das zuständige BMFSFJ (Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) aktuell ein Grün geführtes Ministerium ist, sind die Forderungen als Beitrag zu einer innerparteilichen und öffentlichen Diskussion auch über Landeskompetenzen hinaus sinnvoll.